Login
contact
imprint

toward silence and/or nothingness

Die Multimedia-Produktion  al niente *  entsteht in entlegenen Natur- und Kulturräumen. Sie lässt erleben, wie Klang und klingende Stille jene Räume versinnlichen, verwandeln, verewigen; und wie räsonierende Raum-Erfahrer verfliegen in resonierenden Erfahrungs-Räumen. Lost in space.

Dort setzen sich Elfie Miklautz und Adreis Echzehn mit der Phänomenologie des Hörens und der Zeiterfahrung in anderen Räumen auseinander. Im Zentrum ihres Interesses steht das Auffinden von Räumen, in denen alltägliche Zeitstrukturen aufgehoben werden und Verlangsamung erlebbar wird. Es geht um die Suche nach Heterotopien, in denen Stille hörbar wird, um das Erleben der Atmosphäre von Orten mithilfe des Hörsinns. Erschlossen werden soll die spezifische Wirkung anderer Räume auf das Erleben von Zeit.  

Verlangsamte Bewegung ist häufig ein Kennzeichen von Räumen, die der Alltäglichkeit enthoben sind; der in diesem Zusammenhang erfahrbaren Ruhe korrespondiert Stille. Nicht nur Naturräume ermöglichen diese Erfahrung, auch eigens errichtete Kulturräume, die sich beachtsichtigterweise in  Differenz zur gewohnten Alltagsumgebung setzen, lassen diese Art des Erlebens zu, man denke etwa an Sakralräume wie Kirchen und Klöster, auch an Friedhöfe oder Parkanlagen. Stille – ein immer nur annäherungsweise erreichbarer Zustand, der selbst in akustisch völlig „leeren“ Räumen nicht erfahrbar ist, weil man darin die eigenen Vitalfunktionen wie Atem und Herzschlag hört, ist der Nullpunkt, von dem Klänge ihren Ausgang nehmen.

Analog zur Funktion, die das Schweigen für das Sprechen hat, ist Stille Voraussetzung und Hintergrund von Musik. Der Phänomenologe Jankelevitch spricht von Musik als „Form gewordener Stille“, die die Erfahrung und das Bewußtsein von Zeitlichkeit zu steigern vermag. Kontemplatives, intuitives Wahrnehmen von Welt führt zu ähnlichen Formen des „Enthobenseins“, das ein Kennzeichen der Erfahrens von Heterotopie und Heterochronie ist.

Die amerikanischen Transzendentalisten haben wichtige Beiträge zur Sensibilisierung der akustischen Wahrnehmung geleistet und die Klangeigenschaften natürlicher und künstlicher Räume erkundet. Thoreau etwa experimentierte flötespielend in natürlichen Umgebungen und markierte die Unterschiede zwischen Tag und Nacht wie die besonderen Klangeigenschaften, die beim Spielen an Gewässern wahrnehmbar werden, hörte dem Rauschen der Bäume, dem Summen von Telegraphenleitungen und den von Tieren produzierten Tönen zu etc. Seine Naturbeschreibungen stellten eine maßgebliche Inspirationsquelle für amerikanische Komponisten dar, die die solcherart hörbar gewordene Stille zum Ausgangspunkt ihrer Werke werden ließen.

Ein Ausgangspunkt der Recherchen im Rahmen der Erkundungen zum Klang der Stille ist John Cages Komposition  für Orgel „As slow as possible“, die in einer romanischen Kirche in Halberstadt über einen Zeitraum von 639 Jahren zur Realisierung gelangt. Von Interesse ist daran nicht nur die extreme Verlangsamung, die dazu führt, daß das Stück die Dauer menschlicher Lebenszeit um das Neunfache überschreitet, sondern auch der Raum, in dem es aufgeführt wird: Die 1050 erbaute Burchardikirche wurde sechs Jahrhunderte lang als Zisterzienserkloster genutzt, 1810 säkularisiert und diente danach beinahe zweihundert Jahre als Stall, Lagerraum, Schnapsbrennerei und Scheune.

Heiliges und Profanes, Indienstnahme und Funktionslosigkeit, Lärm und Stille, Verfall und Wiedererrichtung sind der beinahe tausendjährigen Geschichte des Gebäudes immanent. Kontrastiert und verglichen wird dieser Raum mit anderen Natur- und Kulturräumen, die sich als Orte der Stille und Langsamkeit kennzeichen lassen. Das Erschließen der Korrespondenzen von äußerer Raumerfahrung mit Klangräumen und inneren Erlebnisräumen mündet in einer Text-Bild-Ton-Dokumentation und -Aufführung.

*  italienisch  zum Nichts,  musikalisch  leiser werden bis zur Lautlosigkeit