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mihelic / berger: weiter treiben

„… Und dann treibt mich das so weiter, dann werde ich eigentlich so getrieben, es geht dann gar nicht anders, wie so ein Bach, der dann irgendwo hinunterfließt und dann halt einmal über einen Stein kommt, und dann geht es wieder nicht weiter, dann bleibt er irgendwie stehen auf einer Wiese, und dann kommt der nächste Schuß von oben und dann kommt er wieder über einen Stock, und dann treibt er, dann nimmt er den Stock mit, irgendwie erzählt sich das dann fast von allein …“


Ursula Michelic, interviewt am 21.09.11 von Wilhelm Berger, Dauer 53 Minuten

W.B.: Also wenn man dich fragt, was du für einen Beruf hast, was sagst du dann?
U.M.: Naja, das ist immer eine Sache, in welchem Bereich ich gerade arbeite, jetzt würde ich sagen Regisseurin, wenn du mich jetzt vor einem halben Jahr gefragt hättest, hätte ich gesagt ich bin Schauspielerin.
W.B.: Und wenn du das sagst, das ist ja etwas, was nicht so gewöhnlich ist, dass man so hin und herpendelt.
U.M.: Nein, vor allem ich pendle ja dann nochmal ins Schreiben auch hinein, aber noch würde ich nicht sagen, ich bin Autorin oder so.
W.B.: Und wie hängen diese unterschiedlichen Aspekte miteinander zusammen?
U.M.: Ja sehr, es ist ein Bereich, der sich in verschiedenen Ebenen sozusagen ausdrückt und wo man bestimmte Perspektiven einnimmt.
W.B.: Aber du hast ja im Grunde in dem, was du tust, so Aspekte, die in einem relativen Spannungsverhältnis stehen, also die Schauspielerin, die gibt ja wieder und die Schriftstellerin, die produziert, und die Regisseurin ist vielleicht so eine Mitte zwischen der Produktion und der Darstellung, und das vereinigst du in einem gewissen Sinn in deiner Tätigkeit unter einer Person.
U.M.: Ja, also ich würde einmal sagen in der Regie, Regie ist vielleicht eher noch zu vergleichen, nein, das kann man gar nicht vergleichen mit dem Schreiben, aber in der Regie musst du sozusagen einen Bogen spannen über ein Thema, von dem du erzählen willst, also du musst sozusagen einen Überblick, einen Anfang und ein Ende haben und du musst einen Bogen spannen über ein Thema, beim Schreiben ist das ähnlich, im Schauspielen musst du nicht unbedingt den Bogen im Kopf haben, du bist nur Teile von einem Stück da drin und in diesen Teilen funktionierst du, oder improvisierst du, oder handelst du, du musst aber nicht unbedingt als Schauspieler den ganzen Bogen im Kopf haben, damit es Qualität hat, zum Beispiel.
W.B.: Und wenn du eben als Schriftstellerin oder als Regisseurin arbeitest, hast du ja eigentlich so eine bestimmte Macht gegenüber deinen Figuren, also die Figuren, die du porträtierst, oder die Figuren, die du erfindest, empfindest du da so ein Verantwortungsgefühl deinen Figuren gegenüber?
U.M.: Ja, sehr stark, also wenn ich schreibe, das ist vielleicht weniger eine Verantwortung als eine große Liebe zu den Figuren, die mich dann in die Figuren so hineindenken lässt, oder wo ich dann selber auch eine Figur bin, oder eigentlich alle Figuren dann oft bin, und mir so vorstelle, von der Warte aus das zu sehen und dann in eine andere Figur hineingehen und von dieser Perspektive aus die Geschichte zu verfolgen, und zu spüren oder zu empfinden, das ist ähnlich wie in der Regie, in der Regie ist es aber noch eher so, bei mir ist es so, dass ich eine Distanz habe eigentlich zu dem, was ich mache, also ich kann immer so heraustreten aus dem Kreis, beim Schreiben ist es so, dass ich dann wahnsinnig drinnen involviert bin und dass es mir schwerer fällt eigentlich wieder so herauszutreten und Distanz zu bekommen.
W.B.: Distanz heißt aber nicht, dass du neutral den Figuren über bist, oder?
U.M.: Distanz heißt eigentlich eher nicht neutral, aber nicht so unglaublich emotional beteiligt, und das brauche ich, das Heraustreten brauche ich, um der Geschichte so einen Fortgang zu geben, weil sonst verliere ich mich da drinnen, das brauche ich in der Regie eigentlich auch, diese Distanz, dieses Heraustreten und das noch einmal von außerhalb des Kreises, sozusagen des Werkens, anzuschauen, weil dann weiß ich auch, was ich weglassen kann, dann weiß ich, was ich sortieren muss, dann weiß ich, was gestrichen wird oder was man überhaupt nicht braucht und was man unbedingt braucht, das ist wie eine Orientierung eigentlich.
W.B.: Wenn du über das Verhältnis nachdenkst zwischen dieser emotionalen Beteiligung deiner Arbeit, also du hast ja gewissermaßen einen Bereich, aus dem du etwas schöpfst oder aus dem du etwas beziehst und das ist ja sehr emotional, das hat ja auch mit Lebensgeschichte oder mit dem inneren Verhältnis zu den Themen zu tun, das ist bei dir doch sicher relativ stark, das innere Verhältnis zu den Themen.
U.M.: Ja, das ist bei mir sehr stark, also das ist ganz vordergründig, welche Themen da auch auf mich zukommen, oder für welche ich mich entscheide, hat ganz unmittelbar mit meiner ganzen Lebensgeschichte und meiner Art zu denken, mit dem Erlebten, zu tun.
W.B.: Ja, aber trotzdem erzählst du in deiner Arbeit und noch weniger in der Regie deine eigene Lebensgeschichte also nicht eigentlich, es gibt eine Distanz dazu.
U.M.: Ich erzähle nicht meine Lebensgeschichte, aber das, was mich jetzt da ganz persönlich ausmacht, das kommt immer ganz stark auch mit rein, weil es ist immer so ein Hin und Her, das ist immer so ein Raussteigen und dann ein Reinsteigen und ein Raussteigen, hat ganz viel mit mir selbst zu tun.
W.B.: Aber jemand, der das eben hört oder sieht, was du machst, würde ja nicht unmittelbar sagen, dass das mit deiner Lebensgeschichte zu tun hat, das ist dann doch sehr distanziert davon und gleichzeitig ist es enthalten.
U.M.: Also man würde jetzt nicht sagen, ach das ist ja genau das, was die Ursula erlebt hat und so, da kommt ja dann ganz viel dazu, aus Recherche, aus Fantasien, aus Zufällen, die passieren, aus Eindrücken, die alltäglich da sind, die man erlebt, Dinge, die ich lese, da kommt die Lyrik vor allem auch viel dazu bei mir, die mich dann inspiriert.
W.B.: Kann das sein, dass dann oft diese Themen dich auch quasi selber bedrohen, die mit deiner Geschichte zu tun haben?
U.M.: Ja, das kann schon mitunter passieren, also Bedrohen in dem Sinn, dass sie so über mich schwappen, wo ich dann eine Zeit lang da drinnen bin, auch im positiven Sinn bedrohen, wo ich dann einfach weiß, am nächsten Tag muss ich mich wieder hinsetzen und weitermachen, also das Bedrohen hat auch etwas mit einem Druck zu tun, das drückt auf mich dann so drauf, was ich dann auch loswerden muss, vielleicht in der Art.
W.B.: Ja was ich so von deinen Werken kenne, da sind ja oft sehr deformierte Figuren und Personen drin, also Personen, denen zum Beispiel Körperteile fehlen, oder die von ihrer Geschichte her total deformiert sind, oder die auf der Flucht sind, hat das auch mit Lebensgeschichte zu tun?
U.M.: Ja, das hat mit Lebensgeschichte und Lebensgefühl zu tun, also das amputiert werden zum Beispiel als Kind, als Bild jetzt eigentlich gesprochen, wenn man was macht, oder wenn ich irgendwie etwas erzähle, oder etwas tu, irgendwie eine Handlung mache und das wird abgeschnitten zum Beispiel, sowas setzt sich zum Beispiel für mich als Bild um, in eine Frau, wo man nur mehr den Rumpf sieht ja, oder wo die Körperteile getrennt sind, oder wo ein Herz rausgerissen ist oder wo man ein zweites braucht, wie in meinem ersten Stück, um überleben zu können, ja zum Beispiel, das sind so Bilder, die ich dann, das habe ich empfunden, oder das empfinde ich so, und das schreibe ich dann aber in einer anderen Form wieder auf, oder das passiert dann einer Frau, die mit mir vielleicht überhaupt nichts zu tun hat, aber die erlebt in ihrem Kontext empfindet die sowas, und das verbinde ich dann sozusagen mit mir, und aber auch mit irgendetwas Fremdem so, ja.
W.B.: Erkennst du dich dann selber durch das besser? Hat das etwas mit Selbsterkenntnis zu tun, wenn du solche Figuren erschaffst? [U.M.: Nein.] Hat das überhaupt etwas mit Erkennen, Erkenntnis zu tun?
U.M.: Nein. [W.B.: Gar nicht?] Also würde ich nicht, für mich ist das nicht eine Erkenntnis, es ist eher, naja, wenn du so willst, die Erkenntnis, wenn es eine Erkenntnis ist, ist es das, dass ich dann freier bin, das spüre ich dann, also das ist irgend etwas, was ich dann abgeben kann, das brauche ich dann nicht noch einmal machen. Ja, so.
W.B.: Ja aber du hast doch sicher so ein Kriterium auch, das du anlegst, oder zum Beispiel, würdest du sagen das ist wahrhaftig, dass deine Arbeit mit Wahrhaftigkeit zu tun hat, oder mir Wahrheit?
U.M.: Zumindest mit meiner, also Wahrheit, was ist das? Ich meine Wahrheit in dem Sinn, als allgemein gültiges sozusagen Wort, oder das, was es ist, für alle, das gibt es ja nicht, also zumindest glaube ich das, aber so meine Wahrhaftigkeit ist da schon drinnen, also es ist nicht so, dass mir das dann ganz fremd ist, oder oder, ja es kommt darauf an, was man jetzt unter Wahrheit versteht, gell.
W.B.: Ja, was würdest du unter Wahrheit oder Wahrhaftigkeit verstehen, ist das ein positiver Wert, Wahrhaftigkeit, für eine künstlerische Tätigkeit?
U.M.: Damit setze ich mich eh irgendwie auch gerade auseinander, also was das überhaupt ist, ob das überhaupt ein positiver Wert ist, ich finde es muss nicht wahrhaftig sein, was ich als Künstlerin mache, Wahrhaftigkeit in dem Sinn, ich muss dazu stehen, was ich tu, ich muss es jetzt aber nicht irgendwie erklären können, Wahrhaftigkeit vielleicht im Hinblick auf Achtsamkeit oder Respekt auch mit mir und mit den anderen, mit denen ich umgehe, aber jetzt wahr in dem Sinn, dass etwas real passiert ist, also wenn man das so verstehen würde, dann würde ich sagen, das muss überhaupt nicht sein, also auch etwas völlig Phantasiertes, Erfundenes, Grauenhaftes ist auch wahrhaftig, für mich dann in dem Augenblick, wo ich schreibe, oder wo ich jemanden zu etwas hinführen möchte, zum Beispiel eben mit dem Herrn Klement, deshalb bin ich überhaupt auf das Thema dann gekommen, was ist das überhaupt, was ist so Wahrhaftigkeit in der Kunst, und das, was mir zum Beispiel jetzt fehlt im Interview, ich dachte mir, warum fehlt mir das, das ist etwas, das ich wissen will von den Menschen, was da noch drinnen ist, innen von seinen ganzen Schalen, das heißt aber nicht dass das äußere, was er von sich gibt, nicht wahrhaftig ist für ihn, aber das hat mit dem Kern etwas zu tun, mit so einer Essenz was zu tun, wo ich neugierig bin, was ist eigentlich hinter dem Schönen, vielleicht hat das auch etwas mit Wahrhaftigkeit zu tun.
W.B.: Hat die künstlerische Tätigkeit dann auch mit der eigenen Essenz zu tun? [U.M.: Ja] Also dass es nicht mit den Schalen, sondern mit der eigenen Essenz zu tun hat?
U.M.: Ja, das ist vielleicht schon eine Erkenntnis, dass das künstlerische Arbeiten, oder das, was mich jetzt vorantreibt, das muss ich einfach machen, dass ich selber an meinen Kern komme, das stimmt auf jeden Fall, ja.
W.B.: Du hast vorhin gesagt auch zu dem stehen, da kann man ja sagen, man steht irgendwie zu dem, dass man sagt, das ist mein Werk, aber man kann ja auch für sein Werk in einem gewissen Sinn einstehen, also mehr als stehen.
U.M.: Ja das hat dann auch mit einer Haltung, so ganz für mich persönlich, das Einstehen hat damit zu tun, wie ich mich mir gegenüber und den anderen, mit denen ich zu tun habe gegenüber verhalte, also da ist ganz viel mit dabei, der Respekt und eine Achtung ist dabei, und wenn das gegeben ist, dann habe ich das Gefühl, ich kann weit kommen, dann kann ich auch einstehen für das, was ich tu, auch wenn es noch so brutal ist und noch so grauenhaft ist, aber da stehe ich dafür ein, also ich würde nicht dafür einstehen, wenn ich jetzt einen Film mache über die Kampusch und da eine Leibschau mache oder eine Kellerbeschauung und irgendwelche Emotionalitäten heraushole aus Menschen, wo es einfach geil ist oder so, das zu sehen, also das ist etwas zum Beispiel, wo ich nicht einstehen könnte dafür.
W.B.: Also Respekt wäre jetzt so eine Form von Haltung, aber wenn man sich das überlegt, wenn zwei Leute sich begegnen, zum Beispiel wenn sich in dieser Begegnung ein neues Produkt eben erzeugt, dann ist das ja mehr als Respekt, das heißt man gibt etwas von sich in das hinein, was vielleicht irrsinnig ausgesetzt ist, was eben mit dieser Essenz zu tun hat, und man versucht zu erwarten, dass der andere oder die andere das selbe auch gibt in dieser Situation, das ist ja irgendwie eine sehr schwierige Situation, die hat ja sehr viel mit Angst und mit Selbstzweifel und mit der Bereitschaft zu tun, sich überhaupt zu öffnen.
U.M.: Ja, das merke ich jetzt auch, also das ist auch etwas, was ich so spüre, dass ich Angst habe zum Beispiel auch Fragen zu stellen, die auf den Kern führen, also wo ich mich selber überwinden muss dazu, die Fragen zu stellen, wo man wirklich ein bisschen weiter ausholen muss oder wo man reinschürft eigentlich, das bereitet mir auch schlaflose Nächte, so zu denken, darf ich das, darf ich das machen, habe ich das Recht dazu, sozusagen da reinzuleuchten in die Tiefen von einem Menschen, oder in so Themen, die er vielleicht überhaupt nicht preisgeben möchte, da kommt es immer darauf an, das ist so eine Gespürsache, das hat dann viel mit Intuition zu tun, wie weit man da geht, und wann man es auch lässt, und das ist dann weniger Kompromiss, sondern das ist der Respekt, von dem ich dann auch spreche, dann muss man es respektieren, dass es einfach nicht weiter geht, man muss mit dem Thema, man muss mit dem Thema dann einfach auch was machen, dass es nicht weitergeht.
W.B.: Aber wenn du zum Beispiel in deiner Arbeit als Schriftstellerin jetzt etwas schreibst, dann gibst du dich ja auch preis, wie weit bist du eigentlich bereit, dich da preiszugeben?
U.M.: Ja immer mehr, also am Anfang, bei meinen ersten Stücken, habe ich Dinge aufgeschrieben und mir gedacht, das kann ich eben nicht aufschreiben, da gebe ich mich so preis, dann kennt mich jeder so gut, aber irgendwann einmal kam dann das, dass ich an den Punkt gekommen bin, wenn ich jetzt mich nicht aufmache, wenn ich das einfach nicht von mir hergeben will, dann brauche ich gar nicht schreiben, ich muss mich total aufmachen, weil sonst ist es belanglos, dann ist es irgendwie oberflächlich, dann interessiert das auch niemanden, also man muss sich schon hergeben wollen.
W.B.: Aber das würde mich jetzt sehr stark interessieren, weil ich in letzter Zeit auch darüber nachgedacht habe, ich habe jetzt vor kurzem einmal so ein Interview gehört in Ö1 mit dieser Charlotte Roche, die dieses Buch Feuchtgebiete und dieses neue Buch geschrieben hat, und die gibt sich ja irgendwie auch preis, also die gibt sozusagen unheimlich viel von sich preis, und gleichzeitig hat man beim Hören irgendwie das Gefühl, das ist so oberflächlich und kindisch, also ich habe mir dann sogar gedacht, das ist irgendwie spießig, ich weiß jetzt nicht, ob du mit dem übereinstimmst, oder ob du von der etwas gelesen hast, also mir ist das Interview unheimlich spießig vorgekommen, dieser Aufruf so quasi auch zum Vergnügen im Sex, und das ist aber irgendwie als unheimliche Preisgabe dahergekommen, als ob das ein unheimliches Wagnis ist, sich so auszusetzen, da würde ich mich irgendwie fragen, wie unterscheidet sich dieses moderne sich preisgeben und sich produzieren, bis hin selbst der Lugner gibt sich eigentlich preis, von dieser Preisgabe, die, jetzt verwende ich einfach ganz große Worte, mit künstlerischer Wahrhaftigkeit zu tun hat. Wie unterscheidet sich die künstlerische Wahrhaftigkeit von der Preisgabe?
U.M.: Ja, darüber habe ich mir auch schon ganz viele Gedanken gemacht, ich habe dieses Interview auch gehört und ich habe mir gedacht, wieso wird so jemand, der so eine Kacke schreibt, so bekannt und verdient so viel Geld [W.B.: Ja und wie kann man nur so einen Blödsinn reden, habe ich mir gedacht, andererseits hat sie mir wieder leid getan.], und gleichzeitig, ich glaube das ist so der Wunsch von den Menschen, einfach in die dreckigsten Phantasien zu gehen, das wird irgendwie bewundert, dass man das tut, und alles, was mit Sex zu tun hat, ist sowieso immer noch tabu für uns alle, glaube ich, aber bei ihr ist ja ein totales Kalkül dabei, also in dem Sinn gibt sie sich ja dann auch überhaupt nicht preis, weil es schon so überzeichnet ist und so übertrieben ist, dass es schon ganz was eigenes Abstraktes wieder kriegt eigentlich, was mit ihr dann persönlich vielleicht überhaupt nichts mehr zu tun hat, aus was heraus das wächst bei ihr, das weiß ich nicht, das hat sicher auch mit Gewalt zu tun, die sie erlebt hat, mit diesem Unfall und was sie da alles erzählt hat und da will ich auch garnicht irgendwie urteilen, aber ich rede ganz oft darüber, ich sage immer die Nabelschau, in so Shows zum Beispiel, da geben sich die Leute ja auch preis, dass sie sich ihren Busen operiert haben, in jeder Form geben sie sich eigentlich preis, auf eine ganz peinliche Weise, und dann habe ich mir gedacht, warum ist das eigentlich peinlich, warum ist das unangenehm, und das hat ja überhaupt nichts mit Kunst zu tun, und ich denke jetzt gerade an den Joseph Winkler zum Beispiel, der gibt sich in seiner Erzählung, die er gemacht hat, die er uns vorgelesen hat, eigentlich total preis, ich sehe ganz viel von ihm drinnen und das, was es aber dann ausmacht, dass es so eine hohe künstlerische Qualität hat, ist für mich, dass er das dann verbindet mit etwas, was damit zu tun hat und dann wieder mit etwas anderem verbindet, und dass es dann eine ganz eigene Form kriegt, also wirklich eine Übersetzung oder künstlerische Form, die eben nicht nur das „Rauskotzen“ ist, also das Preisgeben, wenn man etwas rausbricht und so wie man in den Achtzigern irgendwie halt lauter nackte Leute auf die Bühne gestellt hat, das ist ja auch so eine Preisgabe, wo ich mir gedacht habe, ist das notwendig, brauche ich das, um das zu erzählen, und was will ich denn überhaupt erzählen, und zum Beispiel eben beim Joseph habe ich so das Gefühl, es ist ganz notwendig, dass er sich preisgibt und gleichzeitig nimmt er das auch wieder und formt das und stellt das in einen anderen Kontext hinein, das ist schwierig zu erklären, ich spüre das einfach, dass das voll Kunst ist.
W.B.: Wenn du das auf deine eigene Arbeit beziehst, machst du das dann auch so ähnlich?
U.M.: Ich will mich jetzt überhaupt nicht mit Joseph vergleichen, weil ich überhaupt nicht so gut bin wie der Joseph oder so, aber ich mache das auch so ähnlich, ich habe auch das Gefühl, einerseits brauche ich diese Preisgabe, und das ist überhaupt der Antrieb, dass man sich da so aufmacht und eigentlich aus einer Not heraus sich fast preisgibt und gleichzeitig das Fassen sozusagen von dem, was das ist, das immer wieder auch zurückhalten und verbinden mit etwas anderem, das macht dann eigentlich erst so das künstlerische Arbeiten aus, sonst wäre es, würde ich ein Buch schreiben, und das wäre sozusagen ein Therapiebericht oder sowas, das ist auch eine Preisgabe, aber das hat noch nichts mit einer künstlerischen Form zu tun, also es hat noch nichts mit einer Prosa zu tun, wo ich sagen würde das ist Kunst, das ist eine künstlerische Übersetzung oder künstlerischer Ausdruck oder überhaupt eine Form.
W.B.: Was wäre dann für dich Übersetzung, weil du jetzt schon ein paar Mal den Begriff gebraucht hast?
U.M.: Übersetzung ist, wenn ich zum Beispiel jetzt, ich habe das Thema Sprachlosigkeit, und ich suche dafür einen Ausdruck, der kann aber nicht in der Sprache sein, weil die gibt es ja nicht, und da arbeite ich zuerst einmal was ist das überhaupt, was ist Sprachlosigkeit, wie wird jemand sprachlos, was für ein Zeitgefühl hat ein sprachloser Mensch, wie hört er, könnte er sprechen, je nachdem wer das alles ist, also da recherchiert man ganz viel oder denkt ganz viel, was das überhaupt ist, und wie sich Sprachlosigkeit dann zum Beispiel jetzt in einem Menschen ausdrückt, und eine Übersetzung eines Themas, also dieses Themas Sprachlosigkeit, könnte man zum Beispiel dann in der Musik finden, in einer Komposition, wo man ein Gefühl von diesem sprachlosen Verhalten vielleicht dann wiederempfinden kann oder sowas, eine Übersetzung ist das, dass man, wenn man das dann anschaut, dass man das Gefühl hat, jetzt muss man endlich reden, wo so das Thema auf einer anderen Ebene zum Ausdruck gebracht wird, das ist für mich eine Übersetzung zum Beispiel.
W.B.: Aber Ausdruck hat nichts mit Erklären oder so zu tun?
U.M.: Nein, Übersetzen in einer unkünstlerischen Form ist ja auch einfach in eine andere Sprache zu übersetzen, damit man sie versteht, und das ist ja eigentlich genau der gleiche Vorgang, du drückst, du willst von dem Menschen etwas erzählen, aber er kann es ja nicht selbst erzählen, du erzählst es dann über eine andere Sprache sozusagen, nicht Italienisch, sondern vielleicht in der Malerei, oder ist das ein Bild, das du dir dann anschaust, oder ist es das dann eine Komposition, wo das Thema der Sprachlosigkeit einfach dann stark da ist, ja.
W.B.: Aber, und diejenigen, die das dann hören, die sollen es ja auch nicht in einem gewissen Sinn so verstehen, als ob es ihnen erklärt ist, sondern die sollen in einem gewissen Sinn in das Thema so hineingezogen werden.
U.M.: Ja, das ist ja glaube ich überhaupt so mit der Kunst, wenn ich mir jetzt zum Beispiel überlege, wie schau, wie wirkt, wenn ich in ein Konzert gehe zum Beispiel, dann, erst einmal ist eine Empfindung da, von dem, was im Raum ist, ob das jetzt Musik ist, oder ob das Texte sind, die ich höre, oder ein Bild, das ich mir anschaue von Breughel oder so, ja, da habe ich erst einmal eine Empfindung dafür, und je mehr ich dann sozusagen da einsteige und je mehr ich auch weiß drum herum, ja, desto mehr kann ich das dann, verbindet sich sozusagen nur das reine Empfinden dann eigentlich mit einer Erkenntnis oder mit einem Gedanken dann, mit dem, wo dann etwas anderes mit reinfließt, wo ich das dann in einem größeren Kontext verstehen kann.
W.B.: Der größere Kontext ist aber nicht bloß intellektuell?
U.M.: Nein eben nicht, anfangen tut es eigentlich nie intellektuell, ich verstehe eigentlich einen Text, erst einmal empfinde ich einen Text, und dann verbindet sich das eigentlich mit meinem Intellekt, was ich dazu denke, womit ich das in Verbindung bringe, was es vielleicht ausdrückt auch an Geschichte, was es erzählen soll oder was es für mich erzählt, aber erst einmal ist es das Empfinden und das Herz, wenn das nicht dabei ist, dann vergesse ich es gleich wieder.
W.B.: Aber du hast gesagt du empfindest einen Text, und doch wird ja dann aus dieser Empfindung Sprache. Wie kann man sich diesen Vorgang vorstellen? Ist das auch schon so eine Form von Übersetzung, also wie empfindest du einen Text? Ist das ein Bild, ist das eine Idee, ist das Emotion?
U.M.: Also es ist so, es berührt wahrscheinlich ein Text deshalb, weil da Teile von mir enthalten sind, wo ich da so anknüpfen kann, wo es mich so reinzieht, was mit mir irgendwie auch etwas zu tun hat, das kann auch ruhig ganz abstrakt sein, also sagen wir einmal Gewalt hat immer viel mit mir zu tun, und das ist erst einmal so eine Herzensgeschichte, da bleibe ich einmal dabei, da muss ich weiterlesen, und dann kommt da verschiedenes zusammen, da kommen dann die Bilder, da kommt dann der Rhythmus von der Sprache, wieso ich bei einem Text bleibe, ja das ist ja schon die Übersetzung eigentlich.
W.B.: Nachdem wir uns ja schon so lange kennen, ich habe das oft beobachtet, dass ich gesehen habe, so bei dir war gewissermaßen etwas da, und das war aber irgendwie etwas, und dann hast du das irgendwie in einen Text gebracht und begonnen zu erzählen, zum Beispiel der Roman, an dem du gerade schreibst, wo dann so Figuren entstehen und die Figuren gehen in ein Haus und es passiert etwas, aber dieses Etwas, das war irgendwie vorher da. Was ist das eigentlich, dieses Etwas, das da irgendwie da ist? Ich habe immer das Gefühl gehabt du hast es, aber nicht als Geschichte, weil die Geschichte hast du ja dann erst gebastelt sozusagen, die war irgendwie so eine Übersetzung von dem Etwas [U.M.: Ja.], aber das Etwas war schon irgendwie da, wie kann man das beschreiben, wie ist das für dich, ist das für dich so eine Idee, weil es ist ja irgendwie mehr, es ist eine Emotion, wie schaut dieses Etwas aus?
U.M.: Das Etwas zum Beispiel jetzt an meiner Geschichte, das hat mit Einsamkeit etwas zu tun, dem Alleinesein und dem Abbrechen von einem Kontext, also jetzt in dem Fall dem Weggehen aus einem Zusammenhang, so, und dazu zum Beispiel ist mir dann eingefallen, ich bin ja einmal als Mädchen einfach im Wald sitzengeblieben und habe beschlossen, von meiner Familie mich zu trennen, und dann spinnt man halt so weiter, so, das Thema Vater, das Thema Tod ist ja für mich so das Präsenteste, was es so gibt, und dann habe ich den so dazugenommen, und dachte mir, der bricht auch aus aus seiner Welt, der bricht aus seinem Heim aus, der geht einfach noch einmal in den Wald zurück und er will noch einmal in seine Gegend, wo er herkommt, um noch einmal bevor er sozusagen stirbt, sich zu erinnern, was da war, und dann läuft es so zusammen, dann sehe ich ihn da so gehen, um die Ecke kommen, und dann bin ich einerseits die Schreiberin, gleichzeitig auch vielleicht dieses Mädchen da, und dann gehe ich mit denen so mit, eigentlich nebenher, und ich sehe die dann so, gleichzeitig bin ich es dann auch selber, und dann verbinde ich das dann mit wieder Gelebtem, mit einem Haus, das ich kenne, was eigentlich überhaupt nichts mit meiner Familie oder sowas zu tun hat, sondern mit einem ganz fremden Haus, und dieses Haus ist mir aber so nah, dass ich dann diese Figuren da reinsetzen kann, dann schauen die sich da etwas an, und dann treibt mich das eigentlich so weiter, dann werde ich eigentlich so getrieben, es geht dann gar nicht anders, wie so ein Bach, der dann so irgendwo hinunterfließt und dann halt einmal über einen Stein kommt, und dann geht es wieder nicht weiter, dann bleibt er irgendwie stehen auf einer Wiese, und dann kommt der nächste Schuss von oben und dann kommt er wieder über einen Stock, und dann treibt er, dann nimmt er den Stock mit, irgendwie erzählt sich das dann fast von alleine.
W.B.: Der erste Satz erfordert dann schon den nächsten, also es hat irgendwie eine gewisse Konsequenz [U.M.: Ja.], also fast eine Logik, dass sich das dann so entfaltet.
U.M.: Schon, das muss es ja auch haben, sonst kann man ja auch einer Geschichte nicht folgen, glaub ich.
W.B.: Ich meine aber nicht so, dass es für den Leser logisch ist, sondern jetzt im Produktionsprozess, gewissermaßen, so wie du das jetzt gesagt hast, schreibt sich von alleine, könnte man ja genau so sagen, diese Geschichte entfaltet jetzt ihren eigenen Zwang sozusagen, die muss in diese Richtung gehen und kann gar nicht in eine andere Richtung abbiegen. Hast du dieses Gefühl so beim Schreiben, dass sich eine innere Konsequenz entfaltet? [U.M.: Oja.] Ist das dann oft so, dass man die gar nicht mehr beherrschen kann oder so, dass sich das einfach aus der Geschichte ergibt?
U.M.: Beim Schreiben geht es mir schon so manchmal, dass ich mir denke, das nimmt jetzt so seinen Lauf, und je mehr ich bereit dazu bin, mich dem hinzugeben, sage ich jetzt einmal, desto leichter fällt es mir, das auch aufzuschreiben, also da brauche ich nichts konstruieren, weil dann schreibe ich das einfach, das Weglassen und das Entschlacken, der Vorgang kommt dann später, aber das ist dann schon so, dass ich dann einfach seitenweise schreibe, und das ist wie so ein innerer Strom, auf den kann ich mich verlassen irgendwie, wie so eine Phantasie, auf der reite ich dann weiter.
W.B.: Also es klingt ja eigentlich unglaublich fröhlich und erweiternd, aber es ist ja gleichzeitig ein bisschen bedrohlich, oder?
U.M.: Ja, es ist schon auch bedrohlich, fröhlich kann ich überhaupt nicht sagen, ist für mich das Schreiben gar nicht, das ist eine richtige schwere Geburt irgendwie jedes Mal, es verlangt von mir ganz viel ab, ich bin wirklich manchmal schweißgebadet, nachdem ich schreibe, ärger als nach einem Job, wirklich, ich weiß gar nicht, wo mir das da so abverlangt, aber es hat schon etwas mit dem Herzen zu tun einfach.
W.B.: Es hat etwas mit dem Verhältnis zu dir selber zu tun?
U.M.: Ja, deshalb ist es auch anstrengend, das Schreiben, es schreibt sich nicht so dahin, und manchmal schreckt es mich richtig, was ich da so aufschreibe.
W.B.: Was schreckt dich da besonders?
U.M.: Es schrecken mich sexuelle Phantasien sehr, die sich auch in meinen Träumen widerspiegeln, die ich ja auch mitunter in meine Texte verarbeite, eben zum Beispiel letztens habe ich einen Traum gehabt, ich verwende ja meine Träume mit, wenn ich mich ganz intensiv jetzt beschäftige mit jetzt zum Beispiel diesem Filmprojekt oder mit den Vätern, mit dem Vater an und für sich, da habe ich dann eben so einen unglaublichen argen Traum gehabt von meinem Vater, wo ich mir denke, das ist alles in mir drinnen, das ist ja nicht mein Vater, das bin ich selber, und das schreckt mich dann, dann denke ich mir, woher kommt das, dieses auch Gewalttätige, das schreckt mich dann, wo ich ja ein extrem harmoniebedürftiger und -süchtiger Mensch bin, was auch für mich in Ordnung ist, ich will das so, ich will nicht nur streiten in meinem Leben, aber in der Kunst streite ich halt wahnsinnig viel, mit mir selber und überhaupt, da kann ich den Streit leben, also den inneren Streit mit mir auch leben, und ich glaube, wenn ich das nicht hätte, dann würde ich eh wahnsinnig werden wahrscheinlich, ich brauche das unbedingt, das ist so eine Ader, die muss da so fließen, weil ich in meinem Privatleben eben ganz ein anderer Mensch bin.
W.B.: Da gibt es ja irgendwie so zwei Richtungen, die eine Richtung, die praktisch in dich selber in die Tiefe geht, die dann irgendwie auf Ebenen und auf Elemente stößt, die unheimlich erschreckend sind, und dann gibt es aber noch die Ebene, in dem Moment, wo du das niederschreibst, oder wo du das Stück machst oder einen Film machst, die geht ja nach außen [U.M.: Genau.], also du setzt dich ja nicht nur dich selber aus, sondern indem du dich selber aussetzt, setzt du dich in die Öffentlichkeit aus, was man ja als Schauspielerin jedes Mal macht, nehme ich einmal an, man muss aber gleichzeitig sich in sich selber aussetzen, und das sich in die Öffentlichkeit aussetzen, wie ist das für dich? Wenn du jetzt zum Beispiel über deinen Vater schreibst, dann setzt du ja diese ganze Vergangenheit, die vielleicht eine ganze Generation in der Familie versucht hat, unter dem Teppich zu halten, ja auch aus, du veröffentlichst es ja gewissermaßen, du sagst es anderen, ist das schwierig?
U.M.: Ja, das ist schon schwierig, also jetzt beim Schreiben ist es viel schwieriger, dazu zu stehen, was ich mache, weil ich so das Gefühl habe, das ist wirklich von mir, beim Spielen reproduziere ich andere Figuren, da muss ich mich in dem Sinn aus öffnen, dass ich frei bin zum Spielen, da kann ich immer sagen, das ist die heilige Johanna oder das ist eine Prostituierte aus Russland oder so, und da öffne ich mich für diese Figuren, damit ich die so wahrhaftig wie möglich spielen kann, wie der Autor es schreibt, das fällt mir nicht schwer, weil da kann ich mich immer noch irgendwie verstecken, da habe ich das Stück, es ist wie sozusagen ein Geiger, der eine Interpretation macht von einem Beethoven, das ist so etwas, wo du dich total öffnest, aber im Dienste für etwas, für diesen Beethoven, was er wollte so damit, du musst schauen, dass du dich in Verbindung setzt und was willst du jetzt so damit, aber beim Schreiben, das ist ja etwas, was nur von mir ist, da habe ich zwar auch Bücher und Geschichten und die Phantasien und die Träume und meine Geschichte und Erlebtes und Phantasiertes, aber es bin trotzdem ich ganz alleine, die so eine ganze Welt schafft so eigentlich, da fühle ich mich wirklich ausgesetzt, das ist finde ich schwieriger, das dann rauszugeben, aber das ist ja immer so in Etappen, so wie ich zum Beispiel dir vorgelesen habe, wo es noch roh war, wo etwas nur einmal so herausgeschrieben war, ohne dass es noch in eine Form schon Übersetzung, sage ich jetzt einmal, gebracht wird, das ist am Schwierigsten, das macht man ja nicht oft sowas, dass man das so preisgibt, wenn dann schon etwas fertig gestaltet ist, wo man nicht nur das Innere sozusagen diese Bonbonniere da innen drinnen sieht, sondern da gibt es eine Hülle und eine Verpackung, da gibt es mehrere Ebenen dazu, da kann ich das dann auch hergeben, da habe ich wieder eine Distanz dazu, dann fällt es mir leichter.
W.B.: Wenn man sich das jetzt vor Augen hält, was du so gesagt hast, dann kann man ja auch beobachten, dass man sozusagen so gewisse Vorkehrungen trifft, um sich auch ein bisschen zu schützen, aber nicht nur in diesem banalen Sinn zum Beispiel vor Störungen, sondern zum Beispiel der Raum, in dem wir jetzt sind, das ist ja auch so eine Art Schutzraum im Grunde für die Gedanken, die du da formulierst, sehe ich das richtig,[U.M.: Ja.] das ist ja nicht nur, weil zuhause der Enzo kommt oder die Kinder kommen, sondern das hat mehr, das ist irgendwie, man hat einen neuen Ort, und an dem neuen Ort da geschieht jetzt etwas, und da kann etwas anderes geschehen als zuhause, und der Ort ist irgendwie sehr sorgsam, kann man sagen, also wenn man den so betrachtet als Produktionsort, der Ort ist ja gleichzeitig so eine Art Schutz vor diesem ausgesetzt sein, das habe ich sofort assoziiert, auch wenn man sieht, das ist von der Straße weg, da gibt es dieses Tor, das ist eigentlich ein unheimlich geschützter Ort.
U.M.: Den brauche ich auch total, sozusagen eigentlich braucht man ganz einen geschützten Ort, um sich auszusetzen, das klingt ja paradox irgendwie, aber je mehr Intimität du für dich schaffst, desto mehr kannst du eigentlich rausgehen damit, das ist wie beim Proben, das ist ganz ein komplizierter, sehr, sehr feiner Prozess, wenn ich mit Schauspielern zum Beispiel probe, dann will ich einen geschützten Ort haben, dann ist jede fremde Person, die kommt und zuschauen will, so ein Fremdkörper, weil man in einem geschützten Raum erst einmal sich öffnet und etwas entwickeln anfängt, und wenn da jemand hineinkommt und sagt, was macht denn ihr da und was ist denn das, dann ist das komplett zerstört, weil er eigentlich die Entwicklung und den Prozess der Entstehung überhaupt nicht mitbekommen hat, und insofern muss man das auch total schützen, was man tut, und der Zeitpunkt, wann man etwas preisgibt und wem man das preisgibt, das finde ich schon sehr wichtig.
W.B.: Könnte man eigentlich auch sagen, das kommt mir jetzt nur so als Idee, nachdem was du gesagt hast, dass der künstlerische Prozess in einem wichtigen Element auch darin besteht, dass man etwas, was in den frühen Phasen des Prozesses total leicht zerstörbar ist, in eine Form bringt, die unzerstörbar ist letztlich?
U.M.: Ja, wenn sie gut ist, dann ist sie unzerstörbar, das glaube ich auch.
W.B.: Also man geht sozusagen aus dieser Zerstörbarkeit raus, versucht aus dieser Zerstörbarkeit in eine unzerstörbare Form hineinzukommen.
U.M.: Das ist ganz spannend, also das ist genau das, womit ich mich immer beschäftige, wo fängt sozusagen das an, wo du dann nicht mehr so angreifbar bist, zuerst ist es ein Prozess wie bei uns jetzt zum Beispiel, wir sammeln, wir machen das Interview und wir sind so geschützt, jetzt habe ich fast Angst, dass wir jetzt schon mehrere Leute sind in Tschechien, dass da jemand sozusagen von außen kommt und das eigentlich gar nicht versteht und dann da so reinhaut oder so, und was ist das eigentlich, so wie man sagt, wir machen eine Vorpremiere oder sowas, dann können schon Leute zuschauen, aber ich weiß, dass man total empfindlich ist noch, bevor das nicht sozusagen fertig ist unter Anführungszeichen, und insofern stimmt das, der Prozess einer künstlerischen Arbeit bis zum Ende ist total zerstörbar, also von außen, aber wenn es dann die Form ist, für die du dich entschieden hast, dann ist es nicht mehr zerstörbar, dann steht die da so, dann kann man sagen mir gefällt das oder warum gefällt mir das oder es ist nicht mein Geschmack oder man kann darüber diskutieren, über den Stil des Schreibens oder wie auch immer, aber für den selber, der das gemacht hat, sonst könnte ja kein Autor eine Lesung machen, das Schlimmste ist für mich ein Stück zu spielen, das habe ich einmal erlebt, das in dem Sinn nicht abgeschlossen war, das nicht fertig war, wo uns der Regisseur am Tag der Generalprobe noch komplett fertig gemacht hat und gesagt hat, das ist grauenhaft, was wir da machen, um sich selbst zu schützen, das war für mich das allerschlimmste, und das ist dann auch nie fertig geworden, da bist du dann immer angreifbar.
W.B.: Aber wie würdest du das jetzt so quasi definieren, wenn du sagst, eine Arbeit ist fertig? Wann ist bei dir eben eine Arbeit fertig?
U.M.: Fertig ist sie ja eigentlich nie, also das gibt es eigentlich gar nicht wirklich, ich habe das eigentlich noch nie erlebt, außer jetzt vielleicht noch beim Schreiben ist es anders, aber bei der Regie oder auch beim Spielen, es ist sozusagen soweit fertig, dass du damit in die Öffentlichkeit gehen kannst und zumindest jetzt einmal dazu stehst, was du da tust, das heißt aber nicht, dass es nicht in eine andere Bahn läuft, weiterentwickelt wird, und jetzt beim Spielen ist es von der Premiere bis zum Ende der Produktion, und selbst dann ist sie eigentlich noch nicht fertig, ist da noch immer ein unglaublicher Prozess an Veränderung da, das ist anders zum Beispiel wie wenn man ein Buch schreibt, da habe ich schon das Gefühl gehabt, zum Beispiel bei meinem letzten Stück beim „Zaun“, alles, was ich jetzt damit sagen will ist da drinnen, und alles, was nicht notwendig ist da drinnen, ist radikal weggekommen, der Kern von dem, was ich sagen will, ist mit dem drumherum übriggeblieben, und das ist jetzt fertig, aber in drei Jahren, wenn ich das jetzt lese, würde ich mir wahrscheinlich denken, eigentlich … also insofern, fertig ist für mich eigentlich nie wirklich etwas, das ist auch das Anstrengende am künstlerischen Arbeiten, das ist noch nicht fertig, jetzt muss ich das noch einmal überarbeiten, fertig ist es in dem Sinn auch künstlich fertig, zum Beispiel, wenn du vor einer Premiere bist, du weißt, an dem 20ten muss es fertig sein, da muss es einfach an die Öffentlichkeit, und dann ist es offiziell fertig, aber für dich selber ist es nicht fertig, das ist ganz verschieden.