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elfie miklautz: werks geheimnis I

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Annäherungen.
Notieren und Skizzieren als Vorstufen des Erkennens in Wissenschaft wie Kunst

Von Elfie Miklautz

Wissenschaftliche wie künstlerische Werke bergen Geheimnisse. Überlegt man, was sie so
geheimnisvoll erscheinen läßt, denkt man zunächst an verborgene Motive, aus denen sie entstanden sein mögen, an individuelle Biographien, die Themen auftauchen lassen, meist ohne daß die Produzenten genau angeben könnten, was sie dazu bewog, genau dieses Thema festzuhalten und unablässig zu verfolgen.

Künstlerische Werke sind darüber hinaus geheimnisvoll aufgrund der nie eindeutig benennbaren Bedeutungen, die in ihnen anschaulich werden. Keines der beiden genannten Geheimnisse werde ich erörtern. Stattdessen möchte ich meine Aufmerksamkeit auf einelne Momente des Entstehungsprozesses von künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten richten, die üblicherweise in den abgeschlossenen Werken nicht mehr offen zu Tage liegen. Den Zugang zu diesen Geheimnissen verdanke ich vor allem der mehrjährigen Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Künstlern im Projekt „knowledge through art“, in dem der Entstehungsprozeß von Werken wechselseitig offengelegt und diskutiert wurde.

Das Projekt bildet gewissermaßen die empirische Basis meiner Überlegungen, die auf einer Reflexion der gemeinsamen Erfahrungen und einer Auswertung der im Projekt entstandenen Interviews fußen, in denen Künstler und Wissenschaftler einander über ihre Arbeitsweise befragten.

Bei aller Heterogenität der Arbeitsweisen – und damit meine ich beileibe nicht nur die Unterschiede zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Methoden, sondern auch interindividuelle, disziplinäre, idiosynkratische etc., findet sich erstaunlich viel Gemeinsames. Ich richte mein Augenmerk also auf das, was nicht im Buch geschrieben steht, nicht auf der Leinwand sichtbar wird, nicht erklingt, sondern auf den im Arbeitsprozeß entstehenden Abfall, das Ent-sorgte, das im Produkt unsichtbar Gemachte und kunstvoll Verborgene. Künstler können im Sprechen über ihre Arbeit eher all die Unwägbarkeiten und Zweifel, die Zufälle und Irrtümer, mit denen sie im Entstehungsprozeß zu Rande kommen müssen, aufdecken als Wissenschaftler. Bei ihnen sollte tunlichst jeder Anschein von Kontingenz und Unsicherheit vermieden werden, wollen sie nicht Gefahr laufen, an ihrem Ruf Schaden zu nehmen. Und für Zweifel gibt es immehin noch ein wenig Raum – er wird in die Fußnoten abgeschoben. Ansonsten ist alles wasserdicht durchargumentiert, begründbar, abgesichert durch Referenzen; ein festgefügtes Wissensgebilde, das sich virtuos im Raum des entweder-oder einzurichten versteht.

Mitunter flüchtig, ambivalent und vieldeutig stellt sich dagegen das Produkt künstlerischer Arbeit dar, das sich auch nicht als Wissenspaket archivieren und wegtragen läßt, weil sein Informationsgehalt frag-würdiger und volatiler ist.

Aber, wie gesagt, nicht die Unterschiede im Erkenntnisprozeß und im Ergebnis interessieren hier, sondern die strukturellen Analogien, die sich auf dem Weg zum Werk feststellen lassen. Sieht man auf den Prozeß statt auf das Ergebnis, werden die Vorstellungen vom Künstler als „Schöpfer“ ebenso brüchig wie die vom streng methodisch vorgehenden Wissenschaftler und rücken einander näher. Die Praktiken ähneln sich.

 

SUCHBEWEGUNGEN

Womit also beginnen? Mit der Suchbewegung, die der Erkenntnis vorausgeht. An deren Anfang steht das Schaffen von Raum – innerem Raum wie äußerem. Leere Oberflächen, auf denen sich sukzessive ansammelt, was als Rohstoff dienen wird, dazu allerlei Gerätschaften, deren Bedienung vonnöten ist. Schon an dieser Versammlung von Materialien zeigt sich der individuelle Stil des Tätigseins – es türmt sich hoch und überbordet die Arbeitsoberfläche, dehnt sich auf den Boden aus, füllt Wände und Regale, oder bleibt puristisch karg und systematisch angeordnet. Ausgegrenzt bleibt, was die Konzentration behindern könnte. Rituelle Handlungen bereiten die Szene vor – Teekochen, Bleistiftspitzen etc.; (vgl. dazu die Ausführungen zur Schreibszene von Campe 1991, S. 76) erst wenn die Situation stimmig ist, herrscht Arbeitsatmosphäre.

Wird dann gedacht? Das auch. Doch mehr als das wird gesucht. Selbst wenn der Plan noch dürftig ist, das Thema kaum noch eingegrenzt – der Spürsinn sorgt dafür, daß Passendes gefunden, Entbehrliches ausgesondert wird. Innere Fokussierung steuert den Suchvorgang. Fallweise ändert sich auch das Thema während der ersten Suchbewegungen, weil einem Unerwartetes und Unvorhersehbares zu-fällt. Begegnet man Abgelegenem, übt es mitunter eine starke Faszination aus, der man nachgibt, ja, nachgeben muß. Die Änderung des Weges erweist sich als richtiger Weg. Diese zufälligen Funde äußern sich, so Georges Didi-Huberman, „in einer heuristischen Öffnung, einer Erfahrung der Forschung, die darin beginnt, daß man auf etwas trifft. Eine andere Art der Erkenntnis.“ (Didi-Huberman 2001, S. 9) Die Bereitschaft, zufällig Zugefallenem Aufmerksamkeit zu schenken, wird gewöhnlich eher den Künsten als den Wissenschaften zugeschrieben, ereignet sich aber in beiden Praxisfeldern. In diesem Moment jedenfalls, so Didi-Huberman weiter, „läßt die Desorientierung des Zufälligen die wirkliche Substanz des Weges, seine grundlegende Orientierung in Erscheinung treten.“ (ebd., S. 10)

Im wissenschaftlichen Forschungsprozeß sind diese Richtungsänderungen tabuisiert – Antragsforschung erfordert ja, schon bevor man beginnt, zumindest den Anschein zu erwecken, man wisse, wohin man wolle und kenne auch den Weg dorthin, ja, man hat auch schon anzugeben, was am Ziel zu finden sein werde. Der Zwang zum Antrag erzwingt Form(at)ierung. Damit ist schon viel vergeben. Es vermindert die Chance, tatsächlich auf Neues zu stoßen und unvorhersehbare Erkenntnisse zu generieren. Wie der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger überzeugend formuliert, ist der Forschungsprozeß eine Suchbewegung, die „nicht über Vorwegnahmen, über ein Telos, über ein Ziel definierbar [ist], das man kennt und auf das man geradewegs zustreben kann.“ (Rheinberger 2006) Man kann immer erst im nachträglich sagen, welche Frage es gewesen wäre, auf die man eine Antwort gefunden hat. Mitunter findet man, was man gar nicht gesucht hat. Für Rheinberger besteht das Grundproblem der Forschung gerade darin, „daß man nicht genau weiß, was man nicht weiß“ (ebd.).

Bilder, Texte, Töne werden gesammelt, Orte aufgesucht, Eindrücke gewonnen, Gespräche geführt, Beobachtungen gemacht. Man nimmt begierig auf, sondiert das Terrain, assoziiert und: notiert und skizziert. Ideen werden festgehalten, Gefundenes archiviert.

Beginnen wir also mit der Suchbewegung und mit deren Manifestation in ersten Verkörperungen – mit gesammeltem Material, flüchtig Notiertem, hingeworfenen Skizzen.

ZETTELWIRTSCHAFT

Nicht nur textgebundene Werke beginnen mit dem Festhalten erster Ideen und Fundstücke. Notizen (von lat. notus – bekannt, kennend) zu Papier bringen heißt, Flüchtiges einfangen und fixieren – Ideen, Vermutungen, Zusammenhänge. es ist eine fest-stellende Handlung, die eine erste materielle Spur des Vorhabens erzeugt. Dieser Spur kommt nicht nur eine mnemotechnische Funktion zu. Sie ist nicht nur auf Vergangenes gerichtet – das, was eben gedacht, wahrgenommen, erlebt wurde – sondern auch auf Zukünftiges. Sie funktioniert als eine Art Beschwörung, die Handlungsanweisungen gibt, worauf sich Verstandes- wie Einbildungskraft fürderhin ausrichten mögen. Sie ist eine erste Verfestigung des Volatilen. Man zettelt buchstäblich etwas an damit. Gleichzeitig wird dafür gesorgt, daß man sich nicht verzettelt im Weiterspinnen der Ideen, die, ohne festgehalten zu werden, in Gefahr sind, sich zu verflüchtigen. Dasselbe gilt für Skizzen, die zeichnend das Vorhaben umreißen.

Der Prozeß des Notierens und Skizzierens erschöpft sich aber nicht im Haltbarmachen des zuvor nur im Kopf oder in der Empfindung Vorhandenen. Dies wäre ein falsches Verständnis des Vorgangs, der eigentlich performativ ist. Das heißt, im Notieren und Skizzieren entsteht Form, es ist eine Entwicklung, die dabei vor sich geht, nicht bloß eine Art mechanischer Abbildung des geistigen Geschehens. Die Verkörperung ist mehr und anderes: sie ist eine Transformation und Formgebung. Zu Papier bringen objektiviert, indem es sichtbare Konturen hervorbringt, auf die man sich beziehen kann, die man verändern kann, in Zusammenhänge mit anderen Verkörperungen bringen etc. Sybille Krämer hat dargelegt, wie folgenreich der Schritt ist, fluide Sprache durch Schrift „haltbar“ zu machen, weil damit Handhabbarkeit und Austauschbarkeit hergestellt werden (Krämer 2003, S. 159).

Bruno Latours Terminus „immutable mobiles“ (Latour 1986) macht die Paradoxie des Verfahrens anschaulich: Unveränderlich und dadurch beweglich sorgen Inskriptionen für die Mobilisierbarkeit des in ihnen vergegenständlichten Ent-wurfs, der entortbar, vergleichbar, kombinierbar wird. Mithilfe des Speichermediums Papier wird Gedachtes und Empfundenes exterior und anschaulich. Papier ist das Trägermedium von zur Fläche geronnener Erfahrung. Fixiert und eingefriedet harrt das in Notizen und Skizzen Festgezurrte seiner weiteren Entwicklung. Vielfältig sind die Arten von Papier, die dafür genutzt werden – Zettel, Blöcke, Papierservietten, Schmierpapier, Karteikarten, Bierdeckel – mehr oder weniger geordnet, datiert oder undatiert. Von kleinen Heften als ständigen Begleitern, die auch nachts am Bettrand zu liegen haben, bis zu Rückseiten von Rechnungen oder sonst gerade Zuhandenem reichen die Formen. Selbst wer seine Notizen sofort dem Computer anvertraut, druckt diese meist aus, um sie, vor sich versammelt, zu überblicken, bleibt also papiergebunden – und flach ohnedies.

 

Die Paradoxie des Plans besteht gerade darin, seiner notwendig zu bedürfen, um ihn hinter sich lassen zu können – arbeitete man plangemäß, käme nur Dekoratives dabei heraus. Allein durch ihre räumliche Anordnung auf der zweidimensionalen Fläche „ergibt“ sich ein Bild von Zusammenhängen, Distanzen und Naheverhältnissen, das die weiteren Arbeitsschritte determiniert. Aus
und umzingelt in immer wieder neuen Notaten den Kern des Vorhabens, an dem man gerade arbeitet; diese Nuclei werden abwechselnd entfaltet und kondensiert, laden in ihrer Vorläufigkeit ein zu Variationsbildung und Spielerischem In-Bezug-Setzen.

Festgehalten wird aber nicht nur mit Papier und Stift – gesammelt wird auch gefundenes Material verschiedenster Provenienz. Man kopiert, druckt aus, fertigt Photographien an, zeichnet Töne auf, liest und unterstreicht Bücher, versieht sie mit Randnotizen, experziert. Nicht immer ist klar, warum gerade dieses in das Archiv einverleibt werden muß, erst nachträglich erschließen sich oft Zusammenhänge, die zunächst nur intuitiv nach dem Datum greifen lassen. Gespeist aus verborgenen Quellen, die ein starkes Movens abgeben, nimmt man auf und legt in Speichern ab.

LITERATUR

Rüdiger Campe: Die Schreibszene, Schreiben. In: Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991

Georges Didi-Huberman: Erscheinungen, disparat. In: ders.: phasmes, Köln 2001

Sybille Krämer: >Schriftbildlichkeit< oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift. In: Sybille Krämer und Horst Bredekamp (Hrsg.): Bild, Schrift, Zahl, München: Fink 2003

Bruno Latour: Visualisation and Cognition: Drawing Things Together. In: H. Kuklick (ed.): Knowledge and Society. Studies in the Sociology of Culture Past and Present, Jai Press vol. 6, 1986

Hans-Jörg Rheinberger: Über die Kunst, das Unbekannte zu erforschen, 2006, http://www.cogitofoundation.ch/pdf/2006/061025DieKunst_dasUnbekannte.pdf (Zugriff: 6.2.2013)