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übers projekt

(Josef Winkler:)    Ich beschäftige mich für dieses Projekt mit Chaim Soutine, einem Maler, den ich von den Bildern her seit meinem siebzehnten Lebensjahr kenne und der die schönsten Gladiolen, die schönsten Zuckerbäcker und die schönsten Ministranten der Kunstgeschichte gemalt hat. Chaim Soutine wurde 1893 als zehntes von elf Kindern eines armen jüdischen Flickschneiders in Smilowitchi, einem litauischen Dorf in der Nähe von Minsk, geboren, besuchte in Wilna die dreijährige Kunsthochschule und fuhr im Alter von zwanzig Jahren nach Paris in die damalige Kunsthauptstadt Europas, wo er sich in Montparnasse, in der Künstlerklause „La Ruche“, was soviel heißt wie „Der Bienenkorb“, einquartierte, die vom akademischen Bildhauer Alfred Boucher für wohnungslose Künstler eingerichtet wurde und wo der völlig verarmte Soutine zu malen begann, bis er schließlich berühmt wurde. In „La Ruche“ waren auch Marc Chagall und Amadeo Modigliani einquartiert.

Ich werde nach Paris reisen, mir die Künstlerklause „La Ruche“ anschauen, die in verkleinerter Form heute noch existiert und in der 60 Künstler beherbergt sein wollen, die Kaffeehäuser, in denen Soutine herumgelungert ist und oft einen ganzen Tag darauf gewartet hat, bis ihm jemand einen Café Creme spendiert, den Friedhof in Montparnasse werde ich aufsuchen, wo Soutine unweit von Baudlaire und Sartre begraben ist und ich werde mir wieder seine Bilder in der Orangerie anschauen. In der Folge möchte ich auch in die Pyrenäen, nach Südfrankreich, in die Stadt Ceret, die als Malerstadt des Kubismus bezeichnet wurde, da unter anderem auch Picasso dort war und wo sich Soutine drei Jahre lang aufgehalten und gemalt hat, sowie nach Cagnes, an die Cote d’Azur, wo er ebenfalls gemalt hat oder nach Litauen, nach Smilowitchi, ins Dorf, in dem Soutine seine Kindheit verbracht hat.

Es ist letztenendes ein literarischer Text zu erwarten über die Lebensgeschichte des verfluchten Malers Chaim Soutine, der hunderte seiner Bilder zerhackte und in Flammen aufgehen liess, der auch gerne Boxer geworden wäre und der Glücksgefühle empfand, als er das sterbende Pferd einer Gauklerfamilie malen durfte. Das geplante Portrait über Chaim Soutine speist sich einerseits aus einer jahrelangen Sammlung kunsthistorischer und biographischer Materialien, andererseits aus der Fokussierung auf den Lebens- und Arbeitsraum „La Ruche“ bzw. andere relevante Orte. Die Frage ist, in welcher Weise eine vertiefende Auseinandersetzung mit räumlichen Umgebungen erkenntnisgenerierend wirksam wird; gesucht wird danach, welche Spuren in der Entwicklung von Werk und Person räumliche Kontexte hinterlassen haben.