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echzehn / berger: schleuderzungen

„… Das können die größten Akkorde sein, wie von Liebe, kann aber auch das kleinste Summen sein, von einer Hummel, die sich im Hohen Atlas verflogen hat, die wird plötzlich die Dominante …“


Adreis Echzehn, interviewt am 14.10.11 von Wilhelm Berger, Dauer 1:08 Stunden

 

Wilhelm Berger:

Einsteigen möchte ich mit etwas, das ich dich sonst auch fragen würde – wenn man nach deinem Beruf fragt, was sagst du?

Adreis Echzehn:

Gleich leicht schwierig … Durch die innere Landschaft lauf ich als Musiker, auch beim Bildermachen oder Schreiben, egal ob Fiktion oder Non. Wenn ich mache, was ich in den vergangenen zwanzig Jahren, außer für Geld irgendwen zu irgendwas beraten, überwiegend getan hab, also schreiben, dann hör ich mit, die Worte hallen wider im Kopf als Töne, ist so stiller Sprechgesang, oder auch sottovoce, als background singender Satzbauer. Früher hab ich auch musiziert gegen Bezahlung, aber dann gelassen, wurde ziemlich ungesund, irgendwann vielleicht auch zu dreckig, den guten Ton, und auch schlechten, für Geld zu produzieren …

Dieses „Geld-entweiht“-Problem hatte ich dann beim Schreiben nicht, aber dafür ein anderes, in den Periodika haben sie mir öfter vorgehalten, das sei literarisch und nicht Feature oder Essay, wobei diese Schubladerei hab ich nie verstanden, kann man doch verbinden, sollte man sogar. Jedenfalls fand ich, mit Schreiben verriete ich mich nicht, und la santa musica hab ich mit Wort-Cantilenen ausgelebt, quasi klangheimlich eingespielt, Rhythmus und Melodie müssen sein im Schreiben, auch im Textmachen für Geld …

Innendrin ruft aber einer „Musiker“, und dazu kommt seit sechs, sieben Jahren eine Bild-Ebene. Seit Anfang Zwanzig hab ich das Glück gehabt, immer wieder mit guten Fotografen zu arbeiten, mit Leuten wie Larry Towell aus der „Magnum“-Kooperative und ähnlich guten, immer Männer leider. Beim Film hab ich auch wenn sichs ergab mitgetan, als Teil des Teams nur, also nicht als der Herr der Bilder oder über Bilder, aber das ist, was sich jetzt geändert hat, also diese Bildebene, die kein Dekor ist für mich, sondern ne andere Dimension eines Themas durchspielt, höher oder tiefer, jedenfalls genauso innig mindestens, [W. G.] Sebald komponiert in seinen Büchern auch ähnlich mit Bild und Text, kontrapunktisch, und ich eben auf meiner Tonspur, in meinen Tonarten, aus meiner Tongrube …

„Transformation“, darüber haben wir hier im Projekt öfter gesprochen, nicht lang her hab ich einen Schleuderzungensalamander abgebildet, und im Text dazu umreiß ich ihn nicht zoo- oder sonstwie logisch, sondern für  den Schleuderzungensalamander schreibe ich über eine bestimmte dreistimmige Invention von Bach, weil die den Schleuderzungensalamander-Anteil in mir schwingen lässt – so diese Art von Umgang mit Bild und Text und Musik, als Autor, für ein Formular oder Visawisch nehm ich auch die Berufsbezeichnung „Autor“, passt in jedes Feld und spart Zeit, auch des Abstemplers.

Wenn man sagt „Musiker“, hat das ja vielleicht auch ein bisschen mit dem Gedanken der Ordnung zu tun, dass man etwas auf andere Art ordnet als Andere, dabei verwendest du sehr gerne das Wort „Spiel“, um die Arbeit zu beschreiben. Was heißt das für dich, diese Spielmetapher?

Ich geb drei Bei-Spiele, Wort- und Ton-Spiele. In unserer Projektbeschreibung steht drin, „al niente“ spielt auch in „Kulturräumen“, das hab ich mal so vor mich hingeschrieben, und irgendwann vor und nach dem „-Ur-“ Bindestriche gesetzt, und plötzlich stehts da, stimmt, für uns gehts um Kult-Ur-Räume. Diese Mehrstimmigkeit finden war aber keine Absicht, ich wollt doch nur spielen, Silbenkombinationen proben, so beiläufig im Bedeutungsmischpult, ohne Ziel, mit Zeit, nicht suchen, nur finden, erst Spiel, dann Sinn, Spiel macht Sinn …

Oder im Titel für diesen Kurzfilm, den wir im vorigen Workshop gezeigt haben, da steht die Wort-Kette „Ton“ und „Macht“ und „Raum“. Wenn ich das zusammenzieh, amalgamiere, kontaminiere, Linguisten ziehn sich die Gifte nur so rein, dann nehm ich in der Stimmprobe vielleicht erstmal „macht“ als Verb, und dann alles als Substantiv-Triole, Ton und Macht und Raum. Oder auch „Ton mach“ lang halten und dabei das Schluss-T von „macht“ an den „Raum“ ziehen, dann wirds „Ton mach Traum“. Zuerst hat der Ton also Raum geschaffen, und jetzt soll er den bitte mit Traum füllen, damits ein Traumraum wird, ecco di nuovo, Spiel macht Sinn …

Bei ner andern Stimmprobe letztens, an E.s Steinway, a zaubaseidigs Instrument, hab ich die Noten weggeklappt und bloß lang improvisiert, weil ich beim Rasieren davor drei Töne vor mich hingesummt hatte, diese Art Selbsthypnose, die Männer beim Rasieren betreiben, gibt einige, oder unter der Dusche, wo man was eigentlich völlig Unmelodisches summt. Trotzdem, die drei Rasiertöne hab ich mitgenommen zum Flügel und drüber improvisiert, im Kopf sowas wie „ra-sur-as—ras-u-ras“ und so immer weiter …

Was draus wird, obs beim Rasurstück bleibt, weiß noch nicht, hab den zweiten Teil aufgenommen, fand es ganz gelungen, ist eine Art Suite, aber kehrt zurück zum Anfangsthema, reigenförmig – beim Abhören kam ich dann drauf, dass das Stück ziemlich genau beschreibt, was ich, als ich vor ein paar Wochen die Helmlampe ausgemacht hatte in einer Grotte, ganz weit hinten-unten drin, am Ende – was ich da empfunden habe, oder welche Art von Melodie, welche melodische Stimmung mir da stand vor dem inneren Auge des Ohrs – man war ja blind, es ist stockdunkel dann, und ganz klar der Zusammenhang von diesem Raum und dem Eigenklang, dem man dort nicht ausweichen kann, den man wahrnehmen muss …

Bei sowas spüren dann einige Menschen, wie Ursula Mihelic heut auch mal gesagt hat, spüren eine Art Unbehagen. Allein die Vorstellung, sich in solche Tiefen zu begeben, also in Räume, die man nicht so einfach wieder verlassen kann, löst oft klaustrophobisches Unwohlsein aus. Ich leide nicht unter solchen Ängsten, weder Höhenangst noch Platzangst noch Agoraphobie, also vor leeren Räumen, sondern für mich ist dort unten die Angst vor dem Eigenklang, wenn ich mich plötzlich selbst höre …

Das Rauschen des eigenen Blutes in den Ohren, ums tremolierend auszudrücken, ich glaube, das macht vielen Leuten Angst. Die Urangst vor der Stille ist das Rauschen des eigenen Lebens, also das innere Rauschen. Wie gesagt, äußere Ängste nicht für mich, aber das ist eine Angstvorstellung, die ich haben könnte – die Angst vor der Stille und vorm Mich-Selbst-Hören, also ich höre, wie mein Leben rauscht, das Grundrauschen meines Lebens …

Nur vom Erzählen jetzt hab ich Gänsehaut, und das passiert dann zum Beispiel grade in solchen Grottenräumen, und dem muss ich mich stellen, das ist eine Art Probe. Und das war es dann auch, als ich da ganz allein hinten war, und die anderen waren im vorderen Teil der Grotte, auch noch hundertfünfzig Meter tief drin, aber nicht so weit wie ich, ich war am Ende – also, ich war echt am Ende, dort, wo ich das Foto gemacht habe mit diesen Figurinen, die vom unterirdischen Wasser aus der finalen Wand geschält wurden, eigentlich gestreamt, Streaming is uralt … Die halbe oder dreiviertel Stunde, die ich dort drin war und dann die Lampe aus hatte, das war so ein Durchgehen der Angst vor dem Eigenklang, also vor diesem Rauschen, diesem inneren Rauschen des eigenen Lebens, und nach dem Durchgang wars ganz schön, ich war ganz ruhig.

Das ist ja ein Aspekt deiner Arbeit, den kann man eigentlich nur haben, wenn man in einer ganz persönlichen, intimen Situation ist, wenn man sich auch von den anderen weggewendet hat, wenn man einsam arbeitet, …  [AE: Ja, allein.]  … wenn man allein ist. Und da interessiert mich jetzt das Verhältnis dieses Alleinsein-Aspekts zur Zusammenarbeit mit anderen, weil diesen Gruppen-Aspekt hat ja, wenn man von deiner Musikmetapher ausgeht, die Musik auch, wenn man gemeinsam mit anderen spielt … Wie würdest du das beschreiben, also dieses Verhältnis der notwendigen Einsamkeit zur Arbeit mit anderen?

Das war das größte Problem für mich an diesem Projekt – also am Beginn, oder in der Vorstellung, bevors anfing. Deswegen habe ich auch gezögert, als mir das vorgeschlagen wurde, ob ich mir das vorstellen könnte. Thematisch wollte ich sofort, weil ich mich damit, also mit Raum und Klang, eh schon lange beschäftige, aber die Vorstellung, dass ich erstens direkt mit jemandem arbeiten sollte oder könnte, und zweitens, dass drumherum auch noch quasi ein Gruppenrahmen gezogen sei, in der auch der Prozess abgebildet werden und auch noch diskutiert werden soll, das hat mich abgeschreckt, zuerst.

Was hat dich abgeschreckt, konkret?

Stadien zu präsentieren, also mich zu präsentieren während der Stadien, die ich durchlaufe, also auch beim Gang durch Glücks- oder Verzweiflungs- oder jedenfalls sehr emotionaler Zustände. Während eine Idee sich umsetzt, während dieses Transformationsprozesses, wohin auch immer der führt – das quasi auszustellen, fällt mir schwer, weil ich das nie gemacht habe, und weil ich mich in Gefahr sehe, das ist die rationale Helmlampe, die sich bei mir anschaltet, tatsächlich eine Form oder ein Ziel zu definieren, wohin das gehen soll …

Nur habe ich nie so gearbeitet, selbst bei non-fiktionalen Texten kenne ich den Schluss nicht und ich will ihn nicht kennen – ich kann auch mit dem Schluss anfangen, handwerklich ist das kein Problem, so wie du das Summary beschrieben hast von irgendeinem Text in einer Peer-Review-Zeitschrift, und dann male ich aus, wie ich zu dem Schluss gekommen bin –, aber das will ich nicht, weil ich weiß, dann käme nichts für mich Offenes raus. Aber genau die Spannung, nicht zu wissen, wie ich selbst ausgehe, wie sich das für mich selber ausgeht, diese Spannung ist für mich nötig, um mutiger zu sein als bisher, um radikaler Sachen wegzulassen oder anders zu machen oder anders zu denken.

Das hängt ja mit der Frage zusammen, gibt es in deiner Arbeit sowas wie Kompromisse, die du eingehen willst?

Nein.

Auch nicht, wenn du mit anderen sprichst, oder wenn du zum Beispiel etwas vorstellst?

Ich bin erzogen worden zu Höflichkeit. Auf dieser Ebene läuft, was nicht läuft.

Würdest du generell die Kompromisslosigkeit als einen Bestandteil eben einer solchen Arbeit beschreiben?

Ja – wenn ich damit zufrieden sein will. Aber zufrieden nicht im Sinn von „hier ist ein vorzeigbares Ergebnis“, mich interessiert das Publikum nicht, für das ich arbeite, nie, nicht beim Texte schreiben, ich habe kein Publikum, wenn ich arbeite. Wenn den Leuten was gefällt, ist es ok, wenn hinterher gesagt wird „schöne Geschichte, schöne Bilder, schöne Impro am Klavier“ oder sonstwas, dann ist das gut. Aber es interessiert mich nicht, ich arbeite nicht für Publikum, ich arbeite erstmal nur für mich …

Klar ist sowas ein Prinzip, das nicht durchzuhalten ist, so kompromisslos, wenn man im Team arbeitet, was ich bisher nie gemacht hab – also wenn man absieht von einigen Filmerfahrungen, und dass ich mit Fotografen unterwegs war für Geschichten, oder für eine Geschichte mit Nomaden durch die Sahara gezogen bin. Das ist aber keine Zusammenarbeit, sondern jeder hat sein Feld, also der Abbilder hat sein Feld und der textende Erleber hat sein Feld, und der Nomade hat das ganz weite Feld …

Aber diese Veranstaltung hier, das ist ne andere Sache, hier verschränkt sich das ja, es verschränkt sich auf gleich zwei Ebenen, also Elfie Miklautz, die Wissenschaftlerin, hat eine völlig andere Zugangsweise in unser gemeinsames Ding – und jetzt erst merk ich langsam, dass das auch für mich fruchtet, also gemerkt hatte ichs schon früher, aber länger gebraucht hab ich fürs Akzeptieren, dass es auch mich weiterbringen kann.

Von unserem Projekt mal abgesehen, wie kommt ein Thema zu dir, was greift dich an?

Alles, das mich rührt – weiß noch, ein paarmal in Interviews bin ich nach Schwerpunkten gefragt worden, wie nennst du deine Musik, deine Textform, im Sinn von „gib mir ein paar Schubladen für dich“, die können dann ganz nützlich sein fürs Selfmarketing, trotzdem wollte ichs nie beantworten, hätte ich wohl auch nicht gekonnt, ich hab dann gesagt, ich arbeite über alles und nichts, über Themen, die ich interessant finde, das können die größten Akkorde sein, wie von Liebe, kann aber auch das kleinste Summen sein, von einer Hummel, die sich im Hohen Atlas verflogen hat, die wird plötzlich die Dominante …

Auf über dreitausend Metern Höhe in dem Gebirge, da hatte sich diese Hummel verirrt, auf der Sahara-Seite des Atlas’, in einem radikal kahlen, radikahlen Geröllsteilhang, den ich da gequert hab, weil ich meine Nomaden wiedertreffen wollte, zwei Tage vorm ersten Schnee, und da kann auch a Hochgebirgshummel nimma gut leben, nur Steine, nix Blüten – und dieses Hummel-Verirren wurde plötzlich das Zentrum meiner Arbeit, also hier meines Textes, Hummel statt Nomade, was in dem betreffenden, betroffenen Verlag merkliche Irritation hervorgerufen hat. Aber abgegangen bin ich davon nicht, weils das dann war, was mich interessiert hat – nicht die große Geschichte Nomaden und Klimawandel und warum Nomaden aussterben, das kam dann auch alles in der Erzählung, aber im Windschatten der Hummel. Die war der neue Ausgangspunkt für mich, der Mittelpunkt im All, dieser Hummelflug im Geröllhang …

Könnte gut genauso sein, wenn ich über Schleuderzungensalamander einen Film machen sollte oder ein Bild malen oder schreiben. Dann schreib ich vielleicht statt über das Tier bloß über die Liebe, weil mich das so rührt, wie der seine Zunge rausschleudert – obwohl da drei Jungtiere sitzen, für mich seine Kinder, und in deren Mitte sitzt die Fliege, die er erschlägt mit der Zunge –, denn er schleudert seine Zunge so wunderbar genau, dass er seine Kinder nicht trifft, und das rührt mich dann, bis mitten ins Herz. Ob das biologisch richtig ist – also, ist natürlich falsch. Aber diese Schleuderzungensalamander gibts wirklich, die heißen so, oder auch Höhlensalamander, sind lungenlos, atmen durch die Haut, jetzt mach ich mal auf wissenschaftlich korrekt. Und durch diesen einen Zungenschleuderer in einer entlegenen sardischen Grotte erfahre ich in dem erschlagenden Moment die Liebe und schreib es. Schreib sie. Für diese Liebe kommt der zungenschleudernde Salamander vor, kommt selten vor, die sind ziemlich selten, kommt bei mir vielleicht einmal als Wort vor, als Ausdruck der Liebe, wie er für mich Liebe ausdrückt. Oder sie, gibt ja auch Salamanderinnen … Salzmandarinen?

Wenn du sagst, es rühre dich – ist das etwas, das dich auch selbst in Frage stellt, also gewissermaßen in deiner Lebensgeschichte, in deiner Erfahrung, in deiner Identität?

Klar, dieses allein sein müssen, oder glauben, sowas zu müssen, am Anfang oder immer wieder während des Prozesses, das hat mit mir zu tun, hat immer mit meinem gesamten Leben zu tun. Ich kann auch Momente benennen, die die Quellen sind für diese Art von Liebe und deshalb Rührung – mit Rührung meine ich jetzt nicht, das Papptaschentuch im Rosamunde-Pilcher-Film, sondern berührt sein, also klingen, selbst erklingen, ob melancholisch oder fröhlich ist egal, beides ist gut –, also dass und wann Saiten wirklich angerührt, angeschlagen, angezupft werden, dafür kann ich bestimmte Sekunden in meinem Leben festmachen. Das reicht zurück bis ins Alter von drei Jahren wohl, da wurden bestimmte Grundthemen, Liebe und Hass und Tod etc., also die Leitmotive, die Starkstromleitungen, in mir als Saiten aufgezogen und grundgestimmt – und seitdem reagiert mein Eigenklang, also mein Resonanzkörper darauf, immer wieder. Das sind ganz wenige Ursprungs-Momente, sieben oder acht, es sind Sekundenmomente im frühen Leben, von denen ich weiß, die sind quasi die Wirbel, auf die meine Saiten gezogen sind, von denen aus meine Saiten sich spannen …

Und deshalb, nochmal zu deiner Frage vorher nach meinen Themen, deshalb kann ich keine bestimmten benennen als „meine“. Weil es nicht Themen sind, die mich zum Klingen bringen, sondern die im Kleinbuben eingerichteten Blickwinkel auf Mikro- und Makro-Szenerien, und in diese damals angerührte, jetzt wieder rührende Perspektive gerate ich durch Zufall, ich hab keine andere Erklärung. Einige Leute mit mythischer oder mystischer Strahlenschutzbrille nennen das ganz gern Fügung oder sonst was Salbiges, das tu ich nicht, kann ich nicht – für mich ist das dann Zufall, ein Thema fällt mir zu.

In diesem Kontext, was würdest du mit den Begriffen „Selbsterkenntnis“ und „Erkenntnis“ anfangen? Suchst du Erkenntnis?

Nein, ich fürcht mich davor. Nicht nur die Furcht, wenn ich mich laufen lasse – auch in diesem Projekt jetzt gibt es ein paar Situationen, ein paar Filme, die ich mit mir selber gedreht habe mit verfremdender Kamera, als Vorbereitung auf eine bestimmte Art von Selbstentäußerung im Projekt. Das musste ich aber beschließen, es war ein Beschluss, ein Pakt mit mir selbst, dass ich Sachen tun will, hoffentlich tun werde, die ich schon immer gedacht und gefühlt habe, derer ich mich noch nie entäußert hatte. Hab ich fest vor, ob ichs letztendlich schaffe, weiß ich nicht. Hab dafür auch geprobt, mit Nacktheit zu arbeiten, also mit meiner eigenen, und da meine ich nicht nur die innere, also diese Selbstentäußerung, sondern auch mit äußerer Nacktheit zu arbeiten. Was ich davon dann machen werde oder einbringen kann, was passt, weiß ich noch nicht, wobei ich keine Kriterien nennen könnte, was wann passend ist …

Aber wenn du fragst nach Erkenntnis, Selbsterkenntnis – ich glaube, für jeden, der sowas tut, der Kunst macht, egal was, ist es ein Egotrip zu sich selbst, muss es sein, muss es zumindest zum Teil sein, sonst kannst du dich nicht entäußern, sonst kannst du auch nicht nach transzendenten Wirkungen oder Möglichkeiten suchen, ein Ding neu zu besetzen oder einen Begriff oder Ton oder Gedanken, oder auch erstmal eine Form neu zu besetzen, vom Gefühl oder vom Intellekt her, und dann zu transformieren, zu ändern. Geht nicht, wenn du dich nicht auf dich selbst zurückfallen lässt.

Aber es ist doch gleichzeitig auch eine Tätigkeit, die nach außen gerichtet ist, das heißt sie hat eigentlich damit zu tun, wie man diese Form des Erkennens, oder diese Form auch des Egotrips für andere übersetzen kann.

Das ist die Frage – kann ich nicht gleich „Ja“ sagen, also ich antworte nicht mit überzeugtem „Ja“, dass Außenwirkung ein Teil des Kunst-Sinns sei, ich glaub nicht, dass Kunst überhaupt ein didaktisches Ziel haben kann, ich glaube, Kunst per se ist autistisch. Als Kunstmacher kann jedenfalls ich nix dazu beitragen, dass Kunst zugänglicher wird, das machen die anderen, die Kunstnehmer – also der da links, der was anschaut, oder die da rechts, die in ein Kunstwerk reingeht oder damit was anfängt, sich Musik anhört oder auch nachspielt. In den Kunstnehmern entsteht die Kunst neu, sie verschaffen sich eigenen Zugang, absolut exklusiv, sie machen ein Werk zu ihrem eigenen Werk – müssen sie tun, meine Kunst können sie nicht nachvollziehen, niemand kann irgendwas von irgendwem nachvollziehen …

Das auch nochmal zur Diskussion heut früh in der Gruppe, als es um Vermittlung ging, ich glaub nicht, dass Kunst vermittelbar ist, ich glaube, dass sie ein Angebot ist, das ich mache, eine Entäußerung meiner selbst. Und zwar nur meiner selbst, das Angebot mache ich, und jemand anders eignet sich das an, und es wird zu seiner Kunst dadurch …

Deshalb muss ich eigentlich „Nein“ antworten, ob ich was mitzuteilen habe, oder ob ich mir etwas überlege, oder ob Kunst per se auch eine Mitteilung sei.

Aber dennoch zeigst du ja und teilst mit, heute vormittag zum Beispiel die Bilder, die du auch erklärt hast, wobei du sehr genau warst.

Das war ein mir willkommener Ausweg, quasi eine Versteckmöglichkeit, indem ich was erkläre. Indem ich Material erkläre und Geschichten um Materialentstehung erzähle, weiche ich erstens mir aus, denn die Angstanfälle habe ich beständig, also da rein zu gehen in diese Art von Selbstentäußerung. Und zweitens weiche ich dem Umstand aus, den ich vorhin als mir unheimlich genannt hab – in einer Gruppe zu sein und vor allem auch mit jemandem direkt zusammen zu arbeiten …

Da hilft mir dann, dass ich eine Phase schildere, und ich schildere eine Voraussetzung, aber ich schildere nicht den Weg dorthin, oder den Weg von dort weg, von diesen Materialien weg, sondern Vi Narro Una Storia. Die hat etwas damit zu tun natürlich, sie bezieht sich auf das Material, in diesem Fall auf die Erlebnisse, die durch die Bilder scheinen, aber es ist nicht das – so begreife ich auch zum Beispiel Katharinas Auffassung von ihrer Komposition, nämlich Ursulas Vater quasi eine Stimme zu verleihen –, es ist also nicht das, was dann zum Schluss rauskommt … Ich hätte Probleme, wenn ich danach gefragt werde oder hinterher gefragt würde, wie bist du darauf gekommen? Wie bin ich von dem Material, das ich euch damals gezeigt habe, auf irgendwas gekommen, von dem ich jetzt selbst noch nicht genau weiß, was es ist? …

Wo ist der Kick, gibt es einen Zeitpunkt, gibt es eine Sekunde, in der eine Idee so drängend wird, dass man die umsetzt oder nicht? Das kann ich, wenn ich an Sachen denk, die ich schon abgeschlossen habe, nur für zwei Sachen von mir sagen – für eine Komposition für ein Jazztrio, und für den Schlusssatz einer bestimmten Kurzgeschichte, die eigentlich viel länger werden sollte, da hatte ich einen Satz geschrieben und in jener Sekunde … Eins der wenigen Male, die sowas passiert ist, als ich wusste, hier ist der Prozess zu Ende, der Prozess der Transformation, in dem Moment wusste ich, ich weiß nicht warum, das ist der Schluss, das muss er sein, obwohl ich noch fett Material hatte, das in die Geschichte gepasst hätte.

Wenn man dir so zuhört oder das heute vormittag gesehen hat – du hast ja quasi viel zu viel, um das zeigen zu können, da ist ein gewisses Wuchern von Ideen, von Bildern, von Erkenntnissen, wie auch immer man das beschreibt … Ist das Erzählen für dich eine Form, das alles zu ordnen, dieses Wuchern sozusagen zu zähmen?

Aber nur, wenn ich es mir selbst erzähle, auch wenn ich vor Leuten stehe und beschreibe ein Bild, auch in einer öffentlichen Situation muss ichs mir selbst erzählen, durch das Mir-Selbst-Erzählen passiert etwas, genau das, was du gerade fragst, nämlich eine Art Ordnungsprozess. Gleichzeitig sehe ich die Gefahr, das ist eine Art Paranoia auch, diese Paranoia lautet: Je mehr ich etwas erzähle oder von dem Material preisgebe, bevor ich es verwandelt habe, desto abgenutzter ist es, wie ein Legostein abgenutzte Noppen hat und nicht mehr richtig an den anderen haftet. Daß ich es jemand anderem erzähle und dann ein Feedback bekomme, jedenfalls zu spüren bekomme, auch Nichtssagendes oder Schweigen schreit mich an, sowas erst recht – das ist Bedrängnis für mich, also scheu’ ich Feedback, nicht nur negatives, sondern Feedback allgemein, am meisten eigentlich positives Feedback, das hat aber nichts mit den Feedbackern zu tun, sondern nur mit mir, damit, wie ich Feedbacks verarbeite oder eben nicht verarbeiten kann.

Das heißt eigentlich, um weiter zu kommen, musst du dich auch irgendwie distanzieren von denen, die dir zuhören.

Ja, widerwillig.

Wie vollziehst du das? Natürlich man kann sich in einen Raum zurückziehen und alleine sein.

Die Tür schließen reicht aber natürlich nicht.

Wie schafft man diese Distanz?

Wenn ich mich selber, mein Inneres, in Räume einteile, und mache die Tür hinter mir zu – also ich zieh mich nicht wochenlang in die Berge zurück oder schließ mich in ein Großstadt-Klo ein, sondern ich hab einen Innenraum, der sowas ist wie diese Bibliotheks-Regale, zwischen denen wir grade sitzen, also so eine Art Archiv, auf das ich zwar Zugriff habe, das aber nicht wirklich geordnet ist, und darin kann ich mich einem, meinem Feedback stellen …

Die Innentür kann ich stabil zumachen, aber nur relativ, denn wenn ich mir des Mechanismus’, den ich grade beschreibe, wirklich sicher wäre, dann hätte ich vorher nicht von der Angst gesprochen vor Feedback, dann hätte ich keine Angst, dann würde ich sagen: Ok, Tür auf, rein ins Archiv, zack Tür zu, Feedback zur Kenntnis genommen. Aber die Angst hab ich weiter, weil ich weiß, dass die Tür nicht absolut dicht schließt …

Ins Spiel kommt da ein Begriff, dem ich fast manisch anhänge, dem der Authentizität, ich hab die Angst und ich schildere sie einfach, ob sie begründet sei oder nicht, möchte ich gar nicht diskutieren, weil da stehe ich auf ganz schwachen Beinen. Es ist die Angst, dass ich alles – und sei es ein Wetterwechsel, den ich beim Blick aus dem Fenster mitbekomme, oder was anderes Authentisches, nach dem ich auf der Suche bin, also in unserem Fall für ein Projektding namens „al niente“ –, dass ich das alles verliere. So paranoid das immer klingen mag, damit muss ich dealen, das ist so.

Würdest du sagen, dass es das auch als Periode gibt? Zum Beispiel aus Gesprächen mit Josef [Winkler] weiß ich, der braucht für seine Literatur eine Zeit, in der niemand ihm reinfunkt, also auch kein positives Feedback, und dann aber gibt es den Punkt, wo diese Zeit vorbei ist, wo der Prozess so reif ist, dass er diesen Schutz nicht mehr braucht.

Diesen Punkt gibt es, der kommt bei mir aber sehr spät, erst, wenn ich genau zu wissen glaube, das wird gelingen, also ich werde mich nicht vor mir selbst verstecken müssen, erst dann kann ich was zeigen, was rausgeben, manchmal sogar etwas noch nicht ganz Fertiges, aber nur, wenn ich mir sicher bin, dann kann mich auch das negativste Augenverdrehen nicht mehr berühren. Dieser Punkt liegt für jeden wohl an anderer Stelle in den Stadien bis zur Vollendung, sogenannten Vollendung, und bei mir ist das ziemlich spät …

Ich kanns noch etwas differenzieren: Beim Malen, was ich zusammen mit dem Abbilden, also Fotografieren, in den letzten Jahren immer öfter tue, da bin ich relativ stabil, beim Musizieren auch. Instabil bin ich beim Schreiben, also grade bei dem, was sich am leichtesten korrigieren lässt, verbessern – paradox oder logisch, dabei bin ich am instabilsten. Dass mir jemand Worte umwerten könnte, umworten, diesen Gedanken, selbst wenn er grundlos ist, und er ist  fast immer völlig grundlos, kann ich am wenigsten ertragen …

Eigentlich ist Musik viel fragiler im Entstehen, verwehende Töne, einmal freigelassen, nie mehr einzufangen, aber Worte dagegen sind eigentlich kontrollierbar, stabilisierbar, die kann ich doch immer umstellen, sag ich mir oft – wenn irgendein Lektor mir einen Satz umstellt, dann stell ich ihn einfach wieder zurück. Trotzdem, kaum erklärlich, bei meinem Wort fürchte ich am stärksten die frühe Preisgabe, frühes Feedback.

Das sind jetzt hauptsächlich Worte, die gewissermaßen eine Schutzhaltung beschreiben – die also mit Abwehr, mit Schutz, mit einem geschützten Raum, den man sich selber gibt, mit Distanz zu tun haben. Aber kann die Angst auch eine positive Rolle spielen in deinem kreativen Prozess, ist sie sogar notwendig, um den voran zu treiben?

Angst ist der Urgrund. Vorhin beim Reden über „Entäußern“, zum Beispiel in der Grotte ins eigene Rauschen zu gehen, also diese Unheimlichkeit zu überwinden und heimisch zu werden, heimisch und  heimlich zu werden in dieser Grotte, sie als Uterus zu sehen und nicht als Hölle, als Höllenschlund – dafür muss ich durch eine Angst gehen, oder durch viele Ängste. Aber die Schutzhaltung, nach der du glaub ich fragst, ist noch eine andere, das ist eine gegen die Angst zu sterben. Ich will unsterblich werden, nicht nach draußen, nicht indem eine Skulptur von mir für die nächsten zweihundert Jahre auf einem zugigen Platz verwittert, sondern ich will nicht sterben …

Wenn ich es schaffe, etwas aus mir rauszuladen, das so dicht dran ist, oder so sehr Ich ist, wie es in diesem Moment oder in dieser Phase nicht besser gegangen wäre, jedesmal glaub ich dann, dass dieses Ich meinen Körper überleben wird. Das will ich glauben, da ich nicht ans Jenseits glaube, ich hab keine Transzendenzvorstellung eines Lebens nach meinem biologischen Tod, und so seh ich diese Momente als meine Chance, unsterblich zu werden. Und die Angst, gegen die ich diese Schutzmauern um mich baue, das ist die Angst, diese Gelegenheiten, unsterblich zu werden, zu verpassen.

Und du spielst auch mit diesen Schutzmauern?  [AE: Ja.]  In welcher Weise?

Es ist ja eine grundsätzliche Schizophrenie, die dem Ganzen zugrunde liegt, dieses Alleinsein, dieser Glaube, allein sein zu müssen, und andererseits in der eigenen Genetik die Anlage zum staatenbildenden Lebewesen in sich zu tragen, genau wie alle anderen ein soziales Wesen zu sein. Das ist ein Grundwiderspruch, es ist im Prinzip auch ein Dilemma, und ich benutze diesen Begriff jetzt mal weiter, wenn ich aus diesem Dilemma, das nicht auflösbar ist, ein wenigstens konstruktives Dilemma machen möchte, dann muss ich schon in einer Art Schizophrenie leben. Die ist aber gar nicht schlimm, also ich finde sie nicht schlimm – das heißt, wenn ich beim Essen sitze, wie vorhin, oder auf ein Fest gehe oder sowas, kann ich das Problem daheimlassen, ich möchte nicht beim Fest über solche Sachen reden, über die wir jetzt reden, es sei denn, ich treffe dich da und wir setzen uns in eine ruhige Ecke und fühlen beide das Bedürfnis, uns auszutauschen. Aber als Smalltalkthema nehm ich das nicht mit rüber in die Gemeinwelt, da scheide ich ziemlich streng …

Ich seh das auch mit meinem Sohn, mit dem ich viel über Kunst und Ausdruck rede, er ist ein ziemlich guter Typ in dem Feld, unabhängig von mir, er zeigt Vieles, das er nicht von mir haben kann, jedenfalls nicht direkt, nicht geerbt. Also, wir haben Phasen zusammen, in denen wir beide absolut profan sind, die Kunst jetzt mal als sakrale Welt gesehen und eine Profanwelt dagegen mit Aufstehen und Frühstücken vor der Schule, oder mit gemeinsam Schifahren oder Schwammerlsuchen – mit ihm, und mit ein paar anderen Leuten, wenigen, macht mir das Profansein Spaß, macht viel mehr Spaß als kunstmachen, kreativsein …

Ach so, zwischendurch mal: Malen oder Schreiben oder Musikausdenken oder irgendwas anderes aus mir holen, das ist kein Spaß, das ist Ernst. Auch wenn ich witzig gemeinte Sachen schreibe, oder witzige Musik versuche, oder eine witzige Verbindung zwischen einem grad gemalten Bild und einem früher mal aufgenommenen Foto baue, auch wenn das tatsächlich witzig ist, und ich auch grinsen muss, wenn ichs mir nochmal anschaue, irgendwo ausgestellt – das Machen selbst, das Kreativsein ist kein Spaß für mich. Ich hab keinen Spaß daran, es macht mir nicht einmal Freude, fast hätt ich jetzt gesagt, es mache mir zumindest Freude, nein, macht es nicht, es macht mir keine Freude.

Aber es hat eine Funktion – zum Beispiel, etwas für dich in Ordnung zu bringen?

Naja, es geht ums Überleben, es ist selbstverordnet, wenn du so willst, eine Überlebensordnung, nicht bloß für dieses Leben, sondern in diesem Ewiges-Leben-Sinn. Eigentlich will ich mich ordentlich selbst überleben.

Diese Ordnungs-Metapher – hast du Werkzeuge für dein Ordnen? Ordnest du systematisch?

Nein, jedoch würd ich gern, wirklich. Vorhin beim Mittagessen hat Ursula [Mihelic] mir erzählt, wie sie das macht, und vor unserer Sitzung hier hab ich dir erzählt, dass ich gleich nachher nach Haus will und nicht mehr ins Café gehe, weil ich zumindest das Gefühl von Überblick haben will. Leider kann ich auch daheim gut abdriften, und dann bricht jedes äußerliche Ordnungsprinzip zusammen, das ich mir zurechtgelegt habe, wie aufsteigende Nummern für jedes Projekt-Foto. Aber zumindest die Ordnungsabsicht tickert in mir, tackert gar manchmal.

Heute vormittag haben wir mal darüber gewitzelt, dass du irgendwie eine Rolle als Projekt-Archivar übernommen hast.  [AE: Yessir.]  Das ist ja einer, der was in Ordnung bringt.

Das ist ein Ausgleich, das ist Ausgleichssport für mich. Ein Teil meines Lebens ist der Ordnung gewidmet, das hat aber mit dem anderen Teil leider, oder ich lasse das leider weg und sage es wertfrei, es hat nichts damit zu tun …

Diesen Ordnungswillen oder auch dieses Ordnungsbedürfnis hab ich vielleicht, weil es so open-end-artig zugeht in mir, dafür gibts keine Ordnung, aber sobald ich draußen eine Gelegenheit erahne, packe ich die beim Schopf und sage, die Projektdokumentation ist ein Feld, da kann ich und trau mich Ordnung schaffen. Schwappt aber nicht in meine eigenen Abläufe.

Ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Dein Schaffensprozess hat mit Ordnung, mit Ordnen nichts zu tun. Und mit dem Durchbrechen von Ordnungen?

Anfangs steht die Ordnung in einem völlig anderen Raum, ich merk dann aber – das kann ich nur rückblickend merken, niemals im Prozess selber, ich kann mir auch nicht sagen, beim letzten Mal war es auch so, beim letzten Projekt oder beim letzten Werk, und diesmal wirds bestimmt auch wieder so sein, Erfahrungswerte beruhigen mich nicht –, jedenfalls merk ich rückblickend, dass mein Ordnen von Fotos im Computer oder von gemalten Bildern, die ich dann so staple, dass sie nicht mehr verstauben und leicht zugänglich sind, dass allein dieses Ordnen selbst, wie ich auch meinem Sohn penetrant erzähle, hör auf mich, mein Bester, melodiöses Laut-Lesen ist viel schöner und prägt nebenbei die Sachen auch besser ein, allein dieses Ordnen hats rückblickend doch gebracht, hat eigentlich den Durchbruch gebracht …

Aber die Erinnerung an Ex-Durchbrüche beruhigt mich nicht im jeweils aktuellen Prozess, weil ich nie an ihn glaube. Selbst wenn es zehnmal geklappt hat, das nächste Mal, und jetzt ist grad wieder mal das nächste Mal, ich bin ja wieder mal in einem Prozess, ich mach mir wieder den Prozess, und so sag ich wieder mal, es hat zwar zehn Mal geklappt, aber diesmal gehts bestimmt nicht – also ich gewinne nicht an Sicherheit durch vorangegangene und abgeschlossene Sachen, das ist ein banaler Satz, der gilt nicht nur für mich, den hab ich auch viele andere Künstler sagen hören, und von einigen, die ich näher kenne, weiß ich, dass es auf sie voll zutrifft – und auch ich fang jedes Mal voll von Null an.

Dieser Aspekt interessiert mich jetzt auch, es gibt also diese erste äußere Ordnung, man ordnet Dinge ein wie in der Bibliothek, im Archiv. Und so könnte man ja auch im eigenen Leben eine zweite Ordnung schaffen, indem man zum Beispiel sagt, das habe ich zuerst getan, das ist mein vergangenes Werk, und jetzt arbeite ich am nächsten Werk, und das vergangene steht mit dem nächsten in einem bestimmten Bezug. Und man kann sich natürlich drittens in einen Kontext anderer einordnen, indem man zum Beispiel andere zitiert, indem man Bezug nimmt auf bestimmte Entwicklungen und sich in diesen Entwicklungen an dieser und jener Stelle positioniert.

Kann ich nicht, mach ich nicht.

Zitierst du überhaupt andere, zum Beispiel?

Nie, jedenfalls nicht bewusst, will ich auch nicht, die Einstellung ist nicht mal künstlerisch begründet, die kommt aus dem Trotzhirn, das will einzigartig sein, nicht zitatgefüttert. Klar spür ich den Sog der Zeitströmung, der Arten zu fühlen, zu malen, zu schreiben, nicht zuzuhören – also ich bin nicht outstanding, ich bin kein outer space man, aber ich will nicht mit der Strömung treiben, ich will nicht mal gegen den Strom schwimmen, ich will gar nicht drin sein …

Man kann sich einmauern qua Bauordnung, sie kann dich versintern, auch vers-intern – Elfie Miklautz eröffnet mir zuweilen Blicke ins heutige Wissenschaftssystem, und ich beweine dann bitterlich, dass jemand vielleicht neue, nie gedachte Gedanken zurückhält, weils für die noch keinen Rückversicherungs-Beleg gibt. Und wenn ich doch mal zitiere, nur in der Freizeit natürlich, dann Elfie Miklautz oder dich oder auch Pierre Bourdieu, der explizit verlangt von seinen Disziplinen, also den Geistes- und Sozialwissenschaften, originell und originär zu sein. Dieses Zitieren und den eigenen Standpunkt immer vom System gestützt wissen müssen, das würde mich lähmen, das muß doch auch Wissenschaftler lähmen, wenn sie nur behaupten dürfen, wofür sie zumindest zwei Belege haben – aber so führt kein Weg ins Ideenneuland, so gehts nur rund im unifarbenen Hamsterrad aufm Niemandslandrummel, immer herrreinspaziert und nie mehr raus, und das seh ich als genotypischen Unterschied zwischen Wissenschaft und Kunst in dieser Sackgassengegenwart …

Was an kreativem Potenzial in der Wissenschaft da ist, was ich so sehr schätze an Leuten wie euch, die ich näher kenne, das wird systemisch torpediert nach meiner Ansicht, weil zuviele Leute nur dann etwas Eigenes zu behaupten wagen, wenn es gestützt ist durch möglichst viele Wie-Bereits-XY-Anmerkt-Fußnoten. Und dann isses nix Eigenes mehr, das führt sich ad absurdum. Aber in einer innovativen Wissenschaft, wie eben in innovativer Kunst, halt ichs für unverzichtbar, für einen Hauptgewinn an der Losbude der Innovation, dass man Dinge behauptet, die noch nicht belegt sind, die nicht belegbar sind.

Das Belegen hat aber natürlich auch viel damit zu tun, dass man sich selbst einordnet in eine bestimmte Tradition, und durch dieses Einordnen erst die Chance kriegt, gehört zu werden.

Da wären wir wieder auf dem Zoon-Politikon-Trail, also bei öffentlicher Wirkung und/oder der sozialen Positionierung, die mir aber wurscht ist – ich hab in der Gosse gelebt, hätt ich nicht müssen, la famiglia ne ha i mezzi , aber ich hab stets alles versucht, um nicht eingebunden zu werden. Das mag ein Defekt sein, ich glaube, das ist ein Defekt, aber ich kanns nicht, das kann ich nicht im Sinn von: Das will ich so stark nicht, dass ich es nicht kann.

Warum willst du es nicht, warum kannst du es nicht? Du hast ja ziemlich erfolgreich publiziert …  [AE:  Und zu früh zu viel.]  Das heißt, du hast dich doch an Rezipienten gerichtet, an Lektoren, Redaktionen, an Leserinnen und Leser.

Das war auch bloß Spiel, eine völlig andere Art als dieses jetzige künstlerische Spiel, über das wir vor ein paar Minuten geredet haben. Jene damalige Spielart sollte rauskitzeln: Wie weit kann ich das System treiben, provozieren, bevor es mich rausschmeißt, und weil ich ein auch rollentechnisch hinlänglich begabter Clown des Systems war, wurde ich erstens ziemlich hoch bezahlt, zweitens ziemlich hoch gehyped und drittens hats eben ziemlich lang gedauert, bis ich eine wirksame Provokationsschiene gefunden hatte für dieses frühe Spiel, fürs Spiel mit dem System, gegen das System, im System gegen das System, bis sie mich rausgekickt haben – nun, eigentlich haben sie mir eher sanft und geschmeidig mehr geschmeidige Sanftmut nahgelegt, ziemlich langmütig, eh sie mich als systemischen Störenfried abschrieben, endlich, darauf hatte ichs ja angelegt …

Warum ich das für so wichtig gehalten habe oder vielleicht noch halte – auch dass es selbstverletzend sein kann oder sogar soll, ist mir öfter passiert, erst ziemlich viel Geld gehabt und dann null Geld und dann wie gesagt obdachlos –, das hat private Wurzeln, Lebenslinienlianen, dazu gehören diese sieben, acht Momente, von denen ich eingangs gesprochen habe, die ich nie vergessen werde und die mich glaub ich konstituieren … Alles, was ich tue, all meine Emanationen, sei es im sozialen oder asozialen Leben, sei es durch irgendein kreatives Handeln, hängen an jenen sieben, acht Sekunden, mehr oder weniger direkt.

Und wenn du etwas fertig gehabt und veröffentlicht hast, oder auch jetzt in die Öffentlichkeit bringst – die Frage nach Stolz hat sich vermutlich schon erledigt … Welches Gefühl hast du damals dabei gehabt, hast du jetzt? Von mir kann ich sagen, wenn ich ein Buch einmal fertig habe, ich bin irgendwie stolz.

Bist du stolz darauf, dass du es fertig hast, Gegenfrage, oder stolz auf eine gute Reaktion von draußen?

Ich bin irgendwie stolz, dass es da ist.

Produkt-Existenz? Ich nicht.

Hängt das bei dir mit Scham oder Angst oder mit sowas zusammen?

Naja, wie mir verständige Leute mal auf den Kopf zugesagt haben, oder eher auf den Bauch, könnte ich eine Art Persönlichkeitsschräge mein eigen nennen, nichts richtig Exotisches, nicht zu schräg, ich bin auf freiem Fuß und nur selten im Schleudergang, aber mittlerweile seh ich auch, dass mein Anspruch an mich selbst derart hoch ist, dass ich ihn gar nicht erfüllen kann, was auch der Sinn ist dieses hohen Anspruchs – in meiner Garküchenpsychologie läuft das unter Konditionierung, Herkunft, Aufwachsen, Sozialisation –, und wenn also mein Anspruch an mich so hoch ist, dass ich mich nicht mal selber loben kann, wie kann es dann die Welt wagen, mich zu loben? Und dieser halbmalade Backlash treibt mich zur Scheißegalität, Scheißegalion, Scheißegalle dem gegenüber, was draußen passiert mit dem fertigen Werk.

Aber das trägt doch eine gewisse Wahrheit in sich, oder?

Jawohl, seh ich auch so, ich akzeptier das, ist nicht heilbar, muss ich eben damit leben, und ich muss so leben, dass ich den Leuten, denen was an mir liegt und an denen mir was liegt, so begegne, dass ich sie möglichst wenig verletze, das ist meine intimsoziale Aufgabe, die Kontrolle der inneren Schärfe, mit der ich verletzen kann, was ich genug getan habe, im Privaten und auch im Zusammenhang mit Werk-Produktionen, durch Rücksichtslosigkeit, durch fanatische Fokussierung, was einerseits oft ganz gut ist fürs Schaffen, andererseits Leichen am Straßenrand zurücklassen kann …

Meine Selbstverpflichtung, mein Pfadfinderversprechen ist, dass die Leichenberge nicht höher werden, darauf möchte ich aufpassen.

Legst du Wert darauf, dass andere wahrnehmen, was du mir erzählst?

Nein, nur die, denen ichs erzähle, wie dir jetzt. Leuten, bei denen es mir wurscht ist, ob sies verstehen, erzähle ich nichts. Es gibt wenige Leute, denen ich was erzähle. Hier und jetzt erzähl ichs, obwohl ein Mikrophon läuft, weils mir mit dieser Gruppe viel besser geht als erwartet – grad jetzt glaub ich sogar, mir ist es fast nicht peinlich, dass eine Selbstbezichtigung als Teilzeit-Außenborder vielleicht auf der Projektwebsite steht, und wenns mir auch in einem Monat noch nicht peinlich ist, das wär eine volle Umdrehung im Zirkeltraining für die Seele.

Welche Rolle in dem Kontext spielt eigentlich dein Körper?

Der muss funktionieren.

Der soll gut funktionieren?

Ja, „muss“ im Sinne von: Das weise ich ihm.

Auch, weil du gut findest, dass du in Höhlen runtersteigst, weil du dich dabei gut findest.

Stolz ist ein Teil davon. Aber ich bin fast zu sehr gewohnt, dass mein Körper gut funktioniert und schon immer gut funktioniert hat, dafür kann ich nicht sehr viel, das ist nur teilweise erarbeitet. Die Gefahr ist, dass ich glaube, es gehe immer so weiter, weil ich sowieso glaube, dass ich unsterblich sei, weil ich unsterblich sein will. Leider merke ich, hab ich auf Sardinien kürzlich gemerkt, unten in den Grotten, dass wenn ich nichts tue – ich bin nicht mehr im Wurscht-Alter, ich bin nicht mehr 16 oder 23, wenn es wurscht ist, ob du ein halbes oder ganzes Jahr im Heu abhängst wie bei Otfried Preußler der Starke Wanja, der dann unter Vollmond beim Hochstemmen des Hausdachs alles einsetzen kann, was er hat, ohne Aufwärmen und Stretching, sofort voll da die ganze angesammelte, unverbrauchte Kraft. Das heißt, diese grundsätzliche Position, die ich schon immer hatte, dass die Kunst mir hilft beim Überleben, sowohl jetzt in der Gegenwart als auch nach dem biologischen Tod, wird jetzt quasi eingeholt durch den biologischen Alterungsprozess, der mir diese arrogante Haltung und diese eigentlich nihilistische Haltung meinem Körper gegenüber nicht mehr so oft gestattet – du hast zu funktionieren und ansonsten „Halt’s Maul“ …

Alles, was ich je kreativ getan habe oder tun werde, hat mich auch körperlich angestrengt und wird mich anstrengen, auch Denken strengt körperlich an, jeden, glaube ich, Denken ist auch Körper-Arbeit, und das merke ich, wenn ich etwas einfach so tun will, wie ichs immer schon getan hatte, was weiß ich – acht Stunden schreiben und vier Stunden am Klavier sitzen, bei sowas kipp ich jetzt ab und zu hinten runter, wenn ich nicht vorher was getan habe, physisch trainiert, Körperzeit genommen.

Wenn ich zurückdenke an heut vormittag, als ihr eure Grotten-Erkundung „al niente“ gezeigt habt, dann gehören zum Einsatz deines Körpers nicht nur Muskeln und Knochen und was es da sonst noch gibt, sondern auch die Sinne. Dieses Hören, das Sehen, das alles ist mir heute bei deinen Schilderungen sehr geschärft vorgekommen, also diese Sinne spielen eigentlich in deiner Arbeit eine große Rolle.

Ziemlich. Jeder tut das wohl ab und zu: sich vorstellen, wie es ohne einen bestimmten Sinn wäre. Ich stell mir öfter vor, ich wär taub oder stumm oder blind, oder ich hätte mein haptisches Empfinden verloren, also ich könnte nichts mehr fühlen, und dann scheint mir kein Sinnverlust und keine Einschränkung erträglich, die Brille reicht mir schon – ich war nie wirklich krank in meinem Leben und hab wohl deshalb auch keine Angst vorm Krankwerden, doch wenn ich mir mal wieder vorstelle, ich könnte irgendwas nicht mehr tun, also ich könnte nicht mehr mit allen Sinnen erleben, in eine Grotte absteigen, die Augen zuerst noch benutzen und dann zumachen, die Ohren funktionieren wunderbar und der Geruchssinn auch und die Haptik, wenn die Höhlenluft über die Haut streicht, und ich spüre alles, und dann vereinigen sich alle zum großen Eindrucksakkord, zu einem Gesamtsinn …

Dieses irgendwas nicht mehr können, die Vorstellung blockiere ich, das Nachdenken darüber. So wie jetzt: Du fragst mich, und ich fange an, nachzudenken, aber jetzt will ich nicht mehr.

Wir müssen nicht weiter darüber nachdenken.

Oder doch.

Das, was du siehst, was du hörst, was du fühlst, was du riechst, das ist eine radikal subjektive Empfindung. Aber das transformierst du dann, das gehört zum künstlerischen Prozess, das darzustellen, es endet ja nicht damit, dass du empfindest.

Nein, das ist bloß der Anfang.

Zum Beispiel ist für mich schon eine wichtige Stufe, dass ich an diesem Tisch sitze und jetzt gerade merke, wie mich Höhlenwind durchrauscht – als du das gerade erzählt hast, ist mir aufgefallen, wie du erzählst, dass du das sehr plastisch machen kannst in der Erzählung, dass man nicht nur übers Wortehören, sondern auch mit anderen Sinnen wahrnimmt.

Darum gehts, um Neukombination und dann um Transformation, wie vorhin mit der Salamanderliebe – ich schreib also „Liebe“ hin, aber es geht weiterhin auch um einen Schleuderzungensalamander, nur kommt das Wort „Schleuderzungensalamander“ nicht mehr vor, weil er in der Liebe aufgegangen ist, beide sind eins geworden in mir, nicht als Varietétrick, sondern passiert, das passiert nicht nur beim Schreiben, auch zum Beispiel beim Malen. Am unteren Rand eines meiner Bilder steht geschrieben „Leuchtturm“, ist aber kein Leuchtturm drin, sondern nur eine wilde, zerklüftete, eigentlich Seelenlandschaft, ohne Licht. „Leuchtturm“ steht da als ein Flehen. Steht für eine Art von Transformation, als verfremdender Widerspruch, wenn du willst, eigentlich auch das Gegenteil von Mimetik, also nicht die möglichst naturgetreue Abbildung eines menschlichen Körpers oder eines Leuchtturms, sondern ein Gegenteil …

Ich habs nicht mit Analogien oder Annäherungen, sondern mit Paradoxa, auch in solchen Untiefen wie Glück, Liebe, Leidenschaft – was ich dir grade gschildert habe, meine Dreiviertelstunde in der Grotte, ganz allein in diesem natürlich durch Wasser geformten Kultraum, dazu sind mir schon ein paar Sachen eingefallen, wie ich das auch für mich aus mir herauf  hole, also erstmal aus mir hinaus  bewege und dann transformiere, und der Kunstprozess ist für mich dann abgeschlossen, wenn ich das, was ich erlebt habe, plötzlich wieder spannend finde, also das für mich erneut neu wird, ein neues erstes Mal, eine Wiederauferstehung …

Die geht so: Ich komme bei mir selbst vorbei, bei meinem Produkt, bei einer Malerei oder einer Tonspur oder sonst etwas, ich komm da vorbei und ruf „che sorpresa!“, als sähe ich das, was mal aus mir gekommen ist, zum ersten Mal, wenn diese Transformation also bei mir selbst statfindet, obwohl ich das Ding so gut kenne wie kein anderer – erst dann muss sich auch eine Öffentlichkeit, ein wie auch immer geartetes Publikum nicht mehr vergebens mühen, meine Absichten nachzuvollziehen, nachzuempfinden, sondern kann sich mein Produkt aneignen, als eigenes Werk, behängt mit eigenem Lieblingsduftstein.

Wie du es geschildert hast, stehst ja du dafür ein, dass es diese Paradoxa gibt, dass die sozusagen nicht sofort aufgehoben sind, du stehst dafür mit deiner Existenz, aber wie kann das Werk dann dafür einstehen, für diese Paradoxa?

Wie es das tut, weiß ich nicht, das kann ich nur an der Reaktion ermessen. Ein eigenes Erlebthaben, etwas, das nur von mir stammen kann, ob anfassbar oder hörbar ist egal, als neu oder unbekannt zu empfinden, ist erstmal ein Paradoxon, doch wenn das funktioniert, wenn das der Fall ist, dann hat sich etwas so klar von mir gelöst, dass es allgemein gültig werden kann und auch auf andere wirken.

Du hast ein Bild jetzt zwei Mal verwendet, mit Liebe auf der einen Seite und mit der Schleuderzunge, die gleichzeitig erschlägt und verschont. Wäre das so ein Beispiel?

Ja, in der Szenerie stell ich mir nicht nur den Salamander vor, sondern so wie ich Töne höre, wenn ich Worte denke, so sehe ich Szenen fast immer sofort als Bewegung und Moment, eine kurze Bewegung und dann ein Moment, das sind Drei-Vier-Fünf-Sekunden-Filme, die in mir ablaufen – die Szene ist nicht Liebe und Schleuderzungensalamander, die Szene ist Liebe und die Zunge in dem Moment, als sie auftrifft. Ich bring also ein Gefühl, in diesem Fall ein positives Gefühl, mit einem sehr flüchtigen Moment zusammen, der mit Liebe eigentlich null zu tun hat, vielmehr mit Höhlenbiologie, aber für mich gehört das zusammen …

Ich kann das nur im Zirkelschluss sagen: Es gehört für mich deshalb zusammen, weil ich darauf gekommen bin, und ich wäre nicht darauf gekommen, falls es für mich nicht zusammen gehörte.

Dann stellst du es dar, das Bild gewinnt eigene Anziehungskraft, und dann kann man es von dir als Person ablösen, dieses Salamanderbild für die Liebe.

Der Anspruch ist, dass es ablösbar sei, das ist mein Anspruch an mich, dass mein Tun gültig sei auch ohne mich.

Das bringt mich ans Ende des Fragebogens, wann ist für dich eine Arbeit fertig?

Wenn sie mir wieder fremd geworden ist. Das schließt an das, was ich gerade gesagt habe, wenn ich eine Arbeit nicht mehr sofort als meine erkenne, mich schon gar nicht mehr ans letzte Ändern erinnere, dann bin ich fertig mit ihr …

Mein teeniger Sohn interessiert sich jetzt für meine Geschichten, auch für die etwas brutaleren, und dann such ich rum in irgendwelchen Publikationskisten und les mich wieder, bevor ich ihm was gebe, oder lese ihm vor, wenn er mag, und dabei denk ich ziemlich oft: „das hab nicht ich geschrieben“, und dann kann ich mir mal kurz erlauben zu glauben, das ist auf eine gewisse Weise gelungen, das steht eigen da – natürlich steh ich noch dafür ein, bin ja mit allem Ich eingestanden während der Entstehung, mehr konnte ich nicht geben, und erst, wenn ich alles gegeben habe, dann ist es durch, dann kann es mir fremd werden, ist vollendet, voll beendet …

Natürlich ist es nicht  vollendet, und wenn ich bei einem Wiedersehen mal aus der Rolle falle als Museumstourist und werde zum Haustechniker, nur ganz kurz, dann seh ich bestimmt was zum Ausbessern, zum Reparieren, hier ne Apposition, dort ne Pinselkontur, wenn man da reingerät, dann ist natürlich nie was fertig, aber Glück gehabt, eins der wenigen Probleme, die mich nur selten anfressen, ist das Nie-Was-Fertig-Haben.

Wenn wir kurz auf deinen Sohn zurückkommen, allgemein auf den Sohn als Rollenfigur, die schon durch ihre bloße Existenz fordert: „zeig mir was, sag mir was Fundiertes, gib mir Antworten“, und das dann ins Verhältnis gesetzt zu künstlerischer Produktion – kannst du dir über deinen Sohn hinaus jemanden vorstellen, irgendein Publikum, dem du … Nehmen wir einfach dieses Beispiel mit dem Salamander, weil mich das unheimlich angesprochen hat, dass dieses Salamanderbild oder der Salamandertext, dieses Zungenbild gewissermaßen, auf andere so wirkt wie du auf deinen Sohn, also sie sozusagen anzieht und eine Antwort fordert, oder auch eine Frage darstellt, die diese Anderen beantwortet haben wollen.

Das ist mein Wunsch, also ich wäre froh, nicht stolz darauf oder glücklich darüber, nur froh, wenn meine Sachen Gültigkeit hätten. Das empfinde ich aber nicht als Anspruch, der an mich gestellt ist, und das ist der Unterschied zu meinem Sohn, der darf diesen Anspruch stellen – ihm Antworten zu geben, alles zu geben, das ist für mich eine wunderbare, schwierige und eigentlich nicht einlösbare, aber wunderbare Pflicht. Diese Art Verpflichtung fühle ich nicht in der Kunst, falls es aber mal passiert, also dass jemand meine Sachen anschaut, anhört, anfühlt und das für ihn eine Art von Weltergänzung oder noch kühner Welteröffnung, Neuwelteröffnung bedeutet, dann ist das wunderbar – nur kann das nicht mein Ziel sein, denn wenn ich mir das als Ziel setze, dann tu ich nicht mehr das, was getan werden sollte.

Ein Wort hast du gerade wieder gebraucht, das Wort „Gültigkeit“. Was beinhaltet das, wenn du sagst, etwas ist jetzt gültig?

Etwas war noch nie da, dann bleibt es, und wenn es sich bleibend immer wieder nur so wahrnehmen lässt, als sei es noch nie dagewesen, dann ist es „gültig“. Spielt im Duo mit „neu“ als Doppelgriff von „noch fremd“ und „wieder fremd“, hatten wir grad schon mal – eine neue Behauptung, Behauptung im Zwiesinn, erstens „ich überlebe“ und zweitens „ich stell eine These hin, die bisher durch nichts belegt ist“, also neu, und diese Verbindung zwischen „neu“ und „Behauptung“ seh ich auch bei euch in der Wissenschaft als das Spannendste überhaupt. Wenn man was liest, das noch nicht belegt ist, eine Erkenntnisbehauptung, die der behauptende Wissenschaftler herleitet aus einem vielleicht riesigen Fundus, den er hinter sich hat und dann hinter sich hat, und dann sagt er, das ist meine  Schlussfolgerung, die hat noch niemand außer mir gezogen, das behaupte ich neu.

In diesem Fall ist es aber noch so, dass die behauptende Person, also du oder der Wissenschaftler im Beispiel, einsteht für das, was er sagt, aber Gültigkeit hat ja auch damit zu tun, dass das, was da hingestellt worden ist, gültig bleibt, auch wenn du weggehst und nicht mehr da bist, was wieder ans Unsterblichkeitsthema rührt.

Ans Überleben eben.

Wie kann etwas also gültig werden, wenn du weggehst, wenn du nicht mehr dafür einstehen kannst? Wann werden deine Arbeiten sozusagen selbständig, und damit wahrhaftig oder gültig?

Wenn sie mir selbst neu vorkommen, das ist der einzige mir zugängliche Hinweis auf Vollendung oder Abschluss. Ich muss nochmal hin zum Einstehen mit der ganzen Person, was heißt, ich gebe alles – bevor ich aber alles gebe, oder gleichzeitig damit, muss ich erstmal annehmen, dass ich überhaupt was zu geben habe, das ist ein Setting, ich habe etwas zu sagen, ich habe etwas auszudrücken. Wenn ich das nicht habe, wenn etwas für mich nicht neu empfunden ist, dann kann ich nix draus machen, also ich stell eine Behauptung à la „die Schleuderzunge ist der neue Ausdruck für Liebe“ nur auf, wenn ich mir das selbst glaube, wenn ich mir traue und mich traue und getrieben bin, nicht bloß von Kreativkraft, auch von Lust oder Angst oder Angstlust …

Also, für Gültigkeit langt nicht eine handwerkliche Meisterschaft. Das is oft kunstvoll zwar, aber Gültigkeit ist erst, wenn jemand eine noch nicht bearbeitete, eben eine neue Behauptung aufstellt, egal in welchem Medium, im Ölbild, im Text oder Film, im Streichquartett, egal. Jemand glaubt, er habe was zu sagen, das noch keiner sagbar, hörbar, sichtbar, fühlbar gemacht hat, oder jemand wird ergriffen von einem bisher ungreifbaren Begriff per un sentimento grande, und er traut seinem Ergriffensein und traut sich eine neue Behauptung, kann jetzt sein, dass Liebe mit Schleuderzungen zu tun hat und nicht mit Rosen.

Aber du bist noch immer du, der dafür einsteht.

Sobald Liebe und Schleuderzunge einander gefunden haben, brauchen sie mich nicht mehr, dann stehen sie füreinander ein.

Und damit wird es zum Bild, das für sich selbst einsteht? Und wenn es für sich selbst einstehen kann, ist es dann gültig?

Es ist gültig, sobald es für sich selbst einsteht, und das ist, sobald ichs wieder spannend finde, weil ich damit abgeschlossen habe. Jetzt. Liebe ist Schleuderzunge und nicht Rose.       <<